Lyrik vom Bodensee

Autor: Gisela Munz-Schmidt (Seite 6 von 9)

Flugzeugunglück am 1.Juli 2002 über Owingen und Überlingen

Dunkel wachsen die Birken aus dem Schnee wie Erinnerungen…
Artikel von Gisela Felicitas Köhns im Südkurier vom 27. Juli 2002

Als Gastgeschenke der Gemeinde Owingen wurden die zweisprachigen Gedichte den Angehörigen übergeben, anlässlich der Reise nach Baschkortostan 2003
Bei der Trauerfeier auf dem Friedhof in Ufa, Baschkortostan

Für einen englischen Privatsender geschrieben
Gisela Munz- Schmidt

Über die Einladung des Staates Baschkortostan im Winter 2003 habe ich mich sehr gefreut und geehrt gefühlt, dafür bin ich heute noch tief dankbar.

A Bouquet of Flowers

Rambler Rose Goldfinch in our garden
Watercolour by Sibylle Buderath
Wild Roses

Wild roses in an open field
like love longed for and found.
Mere heaven as a shield,
sheer feeling as a guide,
no need to hurry or to hide.
All senses keen, alert and wide.
To earth intrinsically bound.

Gisela Munz-Schmidt
Watercolour by Sibylle Buderath
A Bloom

A bloom‘s a work of art.
The artist I don't know.
But he or she makes grow
fine form and overflow
on sense and soul
and mind and heart.

Gisela Munz-Schmidt
Watercolour by Sibylle Buderath
The Poppy‘s Dance

The glance
and the dance
of a poppy
one day and one night.
Love in delight.
Mourning in trance.

Gisela Munz- Schmidt
Watercolour by Sibylle Buderath
A Plant

Leaf and root,
flower and fruit,
colour and shape,
nut and grape,
stem and bloom,
growth and boom,
gift and grant
you find in a plant.

Gisela Munz- Schmidt

Wege zum Wasser

Marita Hornberger
Am Wasser II 2007
Acryl auf Maltuch
Wasser

Mach mich doch nass -
es sprinkelt und glitzert und spritzt,
es perlt und trieft und tröpfelt,
es wellt und quillt und patscht,
es gluckst und glänzt und blubbert,
es schlabbert und schlubbert,
es quirlt und strudelt,
es sprudelt -
Wasser macht Spaß!

Gisela Munz-Schmidt
Aus: Wege zum See
Foto: Georg Schmidt
Water

It sprinkles
and splishes
and sploshes
and splashes.
It rushes
and dashes.
It hurts 
and it cools.
It is fear 
and it‘ s fun.
It fools
with the wind
and it smiles
with the sun.

Gisela Munz- Schmidt
From: My Way along Lake Constance
Foto: Georg Schmidt
Ein Kinderleben

Ein Kinderleben, ein Kinderland,
braucht Sonne und Hände, Wasser und Sand.

Hinter dem Deich und hinter dem Damm
hört die Welt auf, fängt die Welt an.

Hinter der Düne und hinter dem Deich
ist alles anders, sind alle gleich.

Bei Ebbe und Flut 
ebbt alles ab, wird alles durchflutet,
und alles ist gut.

Gisela Munz-Schmidt
The Water in the Lake

Water of constant flow.
Water from ice and from snow,
from running falls of the mountains,
water of rivers and fountains,
water from streams and from brooks and from wells,
of rain, that fell drop by drop,
water that seeps and that swells.
Vapour and condensation.
Abundance and concentration.
Eternal circle
without any stop.

Gisela Munz-Schmidt
From: My Way along Lake Constance
Mein Fluss. Der Neckar

Wie jeder seine Bahn,
wie jeder seinen Weg,
so hat auch jeder
seinen Fluss.

Mein Fluss ist schmal und breit,
fließt zügig und hat Wehre.
Mein Fluss hat Arme alt und neu,
fließt dicht und dunkel aus der Kinderzeit
und hell und klärend durch die Zeit der Lehre.
Er mündet schwer beladen.

Wenn ich ihn heute suche,
sehe ich,
wie sich die Bahnen
und die Wege ändern.
Und finde doch den alten Schimmer
und die alten Stege
an seinen goldenen grünen Rändern.

Gisela Munz-Schmidt

Am Neckar in Heilbronn
2022
Das Wasser

Es ist Stauung und Fluss.
Entzücken. Verdrießen.
Ist Stocken und Gießen.
Ist Starren und Schießen.
Ist Woge und Wiege und Welle.
Ist Quelle, Sog, Wirbel und Schnelle.
Ist Schnee auf dem Dach 
und ist Eis unterm Fuß.
Ist Qual und ist Not und ist Strafe und Muss.
Ist Kuss auf den Lippen,
Glanz, Gunst und Genuss.
Es ist Anfang und Mitte und Schluss.

Gisela Munz-Schmidt
Das Wasser

Die alte Hydra mit den vielen Köpfen
und mit keinem
taucht wieder auf.

Du schlägst. Das Wasser weicht.
Du krallst. Und hast doch leere Hände.
Du dämmst es ein. Es dringt durch alle Wände.

Du kannst‘s nicht zwingen, und du kannst es nicht zerbrechen.
Wenn du es säuerst, wird sich´s ätzend rächen
und hilft dir doch, wenn deine Kraft nicht reicht.

Gisela Munz-Schmidt

Das Wasser ist wie wir

Das Wasser ist wie wir.
In einer weichen Wolke Schoß
wird langsam reif es und bereit
und wartet eine angemessene Zeit,
dann löst‘s sich los.

Das Wasser ist wie wir.
Als kleiner Tropfen schlägt‘s ungewappnet auf.
Es trifft auf eine vorbestimmte Stelle
in einen Kreis und wird zur Welle
und unentrinnbar rinnend beginnt es seinen Lauf.

Das Wasser ist wie wir.
Es will gesellig sein,
bringt sich bewegt bewegend in das Leben ein,
treibt um und an, wirkt hin und her
im großen Strom und mündet und geht auf im Meer.

Das Wasser ist wie wir.
Den Kreislauf zu vollenden
sucht es von Wärme angezogen
den hohen Himmelsbogen.
Und Enden wird zu Wenden.

Das Wasser ist wie wir...

Gisela Munz-Schmidt



Marita Hornberger
Unterwasser V
Im Wasser

Ich liege treibend auf dem Wasser,
und es wachsen mir
Gedanken aus dem Kopf und Worte
so wie Haare.

Ich suche tastend zu ergründen,
ob das,
was wehend aus mir wächst,
ein Teil ist auch von mir,
oder ob ich,
so treibend,
ein Wesen schon geworden bin der andern Welt,
die ich nicht kenne,
ich mir selber fremd.

Ich fühle jede einzelne Wurzel aus mir wachsen
und geh mit jeder Faser auf in meinem Element
und bin mit meiner Haut und meinen Haaren
vom Wasser völlig ungetrennt wie Wasserpflanzen.
Ein abgegrenzter Teil.
Und doch ein Teil vom Ganzen.

Gisela Munz-Schmidt


Mein Element

Das wilde Wasser ist mein Element,
wenn’s hoch in tausend Tropfen schlägt,
weil es mich nimmt und es mich kennt,
weil es mich hält und weil‘s mich trägt.

Das milde Wasser ist mein Element,
wenn‘s weich mir um die Füße spielt,
wenn‘s zärtlich an die Brust mir zielt
und weil‘s, was brennt, mir kühlt.

Gisela Munz-Schmidt
Aus: Wege zum See



Foto: Dr. Werner Schmidt
Two Faces of Water

Water is mild
like bathing a child,
tender and soothing
and smoothing.

Strong and seductive,
hard and destructive
water is wild.

Gisela Munz-Schmidt
From: My Way along Lake Constance


Foto: Dr. Werner Schmidt
Dieses Meer

Dieses Meer ist mir zu groß,
wirft mich um,
treibt mich aus
blauer Lippen,
jagt mir kalte Schauer 
über und über -

diese harten Steine
brennen in meine Füße
ihre spitzen alten unmissverständlichen Zeichen:

Ich bin,
spricht die Erde,
stärker als du,
kleiner Mensch,
und das sagt sie
ohne Hohn,
einfach so,
übermächtig.

Gisela Munz-Schmidt
Farewell 

Schwimm,  Liebes, schwimm,
ich halte dich nicht mehr.
Du gehst hinunter
und du suchst das Meer,
ich werde bleiben.

Schwimm,  Liebes, schwimm.
Die Wege trennen sich.
Zwei Schiffe, die sich grüßen.
Zwei Schiffe ohne Wiedersehen,
die zu verschiedenen Häfen gehn,
die unter anderen Farben stehn
und andere Segel hissen.
Zwei Menschen, die die Winde und die Zeit
aus ihren Armen rissen.
Die auseineinandertreiben.

Und wie du bist und wie du warst
werd ich mit wunden Fingern in die Haut
von anderen Lieben schreiben.

Ich werde dich vermissen.

Gisela Munz-Schmidt

Die eine Perle

Die eine Perle

leg ich dir in deine Hand.

Ein Stück vom Meer,

ein Stück vom Land,

ein Körnchen Sand

inmitten einer großen Welt Getriebe.

Ein weicher Glanz

von Schüben, Schichten, Schalen und Erinnerungen

ganz umhüllt.

Beredt und doch verschwiegen.

Ich sah sie liegen

und ich hob sie auf.

Das Zeichen und den Zauber

der Liebe.

Gisela Munz-schmidt

Rosen

Tuscany Superb
Rosa gallica

Ein paar Tage später…

Kreislauf

Blüte, Frucht,

Anfang und Ende,

Wachstum, Reifung,

Wandel, Wende,

das Vergehende,

das Entstehende –

ja, ich lerne und ich weiß:

wie die Rosen leben wir im Kreis.

Gisela Munz-Schmidt

Aus: Rosen am Weg
Aquarell von Sibylle Buderath
Aus: Rosen am Weg

Zauber

Eine Zauberin ist sie,

die Rose,

wie die Harmonie,

wie die Poesie,

wie die rote Magie –

weil sie um den Kreis

weiß.

Gisela Munz-Schmidt

Aus: Rosen am Weg
Aquarell von Sibylle Buderath
Heckenrose und Hagebutte
Aicha
Rosa spinosissima
Blüte und entstehende Hagebutten

Madame Hardy
Rosa damascena
mit Käferbesuch
im Garten von Thomas und Petra

Mitglied einer Kette

Ein Fädchen im Netz

Anteil am Ganzen

Menschen, Tiere, Pilze, Pflanzen.

Gisela Munz-Schmidt

Verbundenheit

Nein, ich bin nicht allein.

Bei mir ist dieses andere Sein,

in dem ich mit erblasse, mit erglühe.

Ich lebe, und ich lass mich ein.

Mir ist, als ob ich manchmal welke,

doch immer wieder auch, als ob ich neu erblühe.

Gisela Munz-Schmidt

Aus: Rosen am Weg
Historische Rose im Garten von Thomas und Petra

Rosen am Weg

Das Zarte wahrnehmen,

es zärtlich berühren.

Die Fülle fühlen

und damit weitergehen.

Die Rosen, die am Wege stehen,

sind Pforten und offene Türen.

Gisela Munz-Schmidt

Aus: Rosen am Weg

Rosenbogen
Kletterrose Laguna
im Garten von Thomas und Petra

Venedig

Venedig in der Abendsonne
Foto: Georg Schmidt
Venedig 

Venedig liegt im Abendschein.
Es glänzen Kanäle und Brücken und Plätze,
es leuchten alte und neue Schätze,
gelassen treffen sich Gegensätze,
Wasser lebt und Stein.

Gisela Munz-Schmidt
Venedig
Aquarell von Sibylle Buderath
Venedig, Canal Grande
Foto: Georg Schmidt

Venice

An island of finest array.
Presence in water cast.
The glorious breath of the past.
Buildings and bridges that fade or last.
Reflections that change and stay.

Gisela Munz-Schmidt
Blick auf San Giorgio Maggiore
Foto: Georg Schmidt

Venedig : Serenissima Repubblica di San Marco





Der geflügelte Markuslöwe wird mit einem aufgeschlagenen Buch dargestellt:

Markuslöwe auf meiner Venedig Flagge

Inschrift: PAX TIBI MARCE EVANGELISTA MEUS

Unser Reiseführer hat uns erzählt, dass jeder Seefahrer, der glücklich von einer Handelsreise zurückkam, der Serenissima ein wertvolles Geschenk mitbringen musste. Auch deshalb wurde die Stadt so reich.

Bringen wir nicht alle auch kostbare Geschenke mit von unseren Reisen?

Gedichte vom Bodensee:Insel Mainau

Frühling auf der Mainau
Aquarell von Sibylle Buderath
Mainau

Bäume,  mächtig,
alt und stark,
Blumen, prächtig
im weiten Park,
Beete von Blüten,
von blauen und roten,
Exoten
wie Boten,
barocke Räume,
Tulpen, Dahlien, Rosenträume,
Brunnen, die sich am Wege ergießen,
bunte Pflanzen an Hängen, in Wiesen,
Gewächse, welche gedeihen und sprießen,
Farben, die ineinanderfließen:
Kommen. Bleiben. Genießen.

Gisela Munz- Schmidt
Aus: Wege zum See


Sommertag auf der Mainau
Aquarell von Sibylle Buderath
The Island of Mainau

An island that holds
very special treasures,
full of blooms and of butterflies,
full of wonders and pleasures.

The tulips in spring,
in summer the roses,
beautiful dahlias late in fall.

The charms of nature this island exposes.
Full of trees and fine flowers,
and I do love them all.

Gisela Munz-Schmidt
From: My Way along Lake Constance

An die Insel Mainau habe ich viele persönliche Erinnerungen – an Besuche allein, mit Familie oder mit Freundinnen und Freunden.

In diesem Zusammenhang fällt mir immer wieder ein, wie sich Sibylle Buderath und ich auf unser Buch „Rosen am Weg“ vorbereiteten. Sibylle wollte ihre Rosenaquarelle „en plein air“ malen, wurde aber immer wieder von neugierigen Menschen gestört, die ihr über die Schulter blicken wollten. So zogen wir zu zweit los, sie verschwand hinter die Rosenbüsche mit ihrer Staffelei, fand Motive zum Malen, und ich stand vorne als Wächterin am Weg und ließ mich durch Beobachtungen und Einsaugen der rosealen Atmosphäre inspirieren, konnte so die Leute ablenken, und wenn Sibylle fertig war, gingen wir zusammen ins Café  und schauten und besprachen, welche Bilder und welche Texte zusammenpassen könnten.

Hier drei Beispiele aus unserem Lyrikbildband ROSEN AM WEG:

Aquarell von Sibylle Buderath
Gedicht von Gisela Munz- Schmidt

Aquarell von Sibylle Buderath
Gedicht von Gisela Munz-Schmidt
Aquarell von Sibylle Buderath
Gedicht von Gisela Munz- Schmidt

Auf der Insel Mainau wird nicht nur der Schönheit und Vielfalt der Pflanzen gehuldigt, sondern durch naturnahe Areale und informative Anlagen wird auch das ökologische Bewusstsein geschärft.

Besonders der Insektenschutz verdient Beachtung! Im Schmetterlingshaus und in Insektenhotels versammeln sich zahlreiche Vertreter der Insektenfamilien.

Für den NABU Überlingen habe ich 2018 eine Art Pamphlet verfasst,

nachdem ich auf den Hortus Insectorum und das Netzwerk von Markus Gastl aufmerksam gemacht wurde.

Weil die Mainau sich auch dem Insektenschutz verschrieben hat, stelle ich es hier ein, ohne Anspruch auf literarische Qualität!

Die Inhalte der Paarreime sind allerdings unbestritten.

DAS INSEKT
Das Insekt

Vor 400 Millionen Jahren, so wurde entdeckt,
lebte bereits das erste Insekt.

Und jetzt müssen wir leider, ohne Fragen,
seinen gewaltigen Rückgang beklagen.

Früher klebte es an Fensterscheiben,
da brauchen wir es längst nicht mehr abzureiben.

Möglicherweise haben
wir es unter Asphalt begraben?

Oder es hat einfach zu viel Glyphosat, Phosphat, Nitrat geschluckt
und das Zeug einfach nicht ausgespuckt?

Mit Blümchen und Bienchen ist es auch nicht weit her,
Monokulturen sind artenleer.

Auch die Gärten mit Schotter, Granit und Kies
sind für das Insekt kein Paradies.

Selbst der fliegende Luftverkehr
macht dem Insekt das Leben schwer.

Zwischen Hochhäusern findet sich auch nicht schnell
ein angemessenes Insektenhotel.

Nicht mal auf dem Balkon den Zwetschgenkuchen
will so ein Insekt noch einmal versuchen.

Kein Tier tanzt dir, summ summ, brumm brumm,
auf deiner Menschennase herum.

Die Leute müssen sich nun wohl bequemen,
Bestäubung mit Pinseln selbst vorzunehmen.

Und die Insektenfresser, fast hätt ich´ s vergessen,
müssen nun halt jetzt was anderes fressen.

Das Insekt, verachtet und verhasst,
hat sich eben nicht angepasst!

Ach Gott, was wird meine Liste lang,
allmählich wird mir um das Insekt doch bang.

Es dämmert mir langsam, und mir wird klar,
das Insekt ist in großer Lebensgefahr.

Und also zitiere ich Einstein hier:
Erst stirbt das Insekt. Dann sterben wir.

Gisela Munz-Schmidt

Hoffnung auf Frieden

Ölgemälde von Rudolf Munz
1920 in Graz geboren,
2008 in Baden- Baden gestorben
Gedanken auf der Rheinbrücke nach Straßburg

En avant, vorwärts,
dein Großvater, mein Vater,
sie marschierten, Gleichschritt Marsch,
Bajonette gezückt, Panzer.
Über dem Rhein war der Feind.
Der Feind?

Ich kann es mir Gottseidank nicht mehr vorstellen.
Ich fahre über die Rheinbrücke.
Nur Vorfreude!
Auf die schöne Stadt.
Die strahlende Gotik.
Die elegante Sprache.
( Und auch meine Sprache ist schön,
auch meine Gotik stolz,
ich liebe auch meine Städte.)

Unser Rhein.
Eine unserer Lebensadern.

Einmal möchte ich mitten auf der Rheinbrücke anhalten und aussteigen.
Warten, bis alle Insassen der anderen Fahrzeuge auch mit mir am Geländer stehen,
Franzosen, Deutsche, Reisende aus aller Herren und Frauen Länder.
Mit ihnen gemeinsam glücklich den Flusslauf sehen,
erkennen und jubeln:
Weggeschwemmt endlich alles Blut!
Hier fließt lebendiges Wasser
durch Europa.

Gisela Munz- Schmidt
 
Kind der Erde

Meine Arme spann ich von der Taiga
bis an Frankreichs schöne Küste.
Meine Wurzeln treiben
unter all den vielen Inseln,
und am großen Himalaja
bette ich mein Haupt.

Afrika ist meine Wiege,
in die Anden komme ich am Abend,
und im weiten Reich der Mitte
liegt mein Kunstverstand.
Dort am Kap siehst du mich tanzen,
hörst mein Lachen tief in Georgia
und in Sydney gib mir deine Hand.

Ich bin ein Kind der großen Mutter Erde,
und alle ihre Kontinente sind mir gleich vertraut.

Und rot und schwarz und gelb und weiß und braun
ist meine Haut.

Gisela Munz-Schmidt
Aus: Gedichte gegen Gewalt

Children of the Earth

From the boreal Taiga to the rivers of France,

from Australia’ s reefs to the African dance,

from Asian heights to America’s plains,

from British gardens  to Caribbean canes,

from Egyptian Art to India’ s wonder,

from high Andean Mountains  to the oceans down under,

from the snows of a mighty Swiss mountain slope

to  the southern waters of the Cape of Good Hope,

from China’s Great Walls

to Victoria Falls –

We are living here, regardless of birth,

we all live as children of a wonderful Earth,

we all are humans, the next of kin,

with red, black, white, brown, yellow of skin.

Gisela Munz- Schmidt

Schlange und Taube

Mein Gefühl sandte ich aus 
wie eine Schlange,
die den Grund erspürt
gleitend
und meine Gedanken
wie eine Taube,
der am Himmel nichts entgeht,

und rief sie beide zurück:
„Was habt ihr erfahren, gesehen?“

“Gewalt und Grausamkeit und Blutgericht“,
die Schlange spricht.

Die Taube sagte:“Nein. Das sah ich nicht.
Bei Tag und in der Nacht sah ich ein großes Licht.“

Gisela Munz-Schmidt 
Aus: Gedichte gegen Gewalt




Die Taube

Und wieder steigst du auf
wie eine weiße Fahne
aus Meeren dunklen Bluts zerstückter Leiber
und schwebst.

Wie lange dieses Mal?

Doch eine wichtige Weile als ein Zeichen:

So könnte es,
wenn wir nur alle wollten,
für immer sein.

Gisela Munz-Schmidt
Aus: Gedichte gegen Gewalt

Schmetterlinge / Butterflies

Apollofalter
Parnassius Apollo
aus der Familie der Ritterfalter
Apollofalter

Und schwarz und weiß und rot.
Und einst ein Gott
und stolzer Ritter
zogst du mit hellen Scharen.

Und schwarz und weiß und rot.
Der Tod 
ist bitter,
und Rittern wie dir 
klingen keine Fanfaren,
und nirgends steht für dich ein Stein.

Ritter wie du
sterben still
und wie Götter
allein.

Gisela Munz-Schmidt


Parnassius Apollo

An ancient God
in marble-white divine.

A famous knight
in red-spread splendid shine.

And black plague-spots
of poisonous a time.

White, Red and Black -
the colours on your shrine.

Gisela Munz- Schmidt

Kleine Büste des großen Apollo in unserem Regal
Verluste 

Doch was verlieren wir,
wenn keine Falter mehr schweben?
Wir überleben.

Und was verlieren wir,
wenn keine Schwalben mehr gleiten?
Es kommen neue Zeiten.

Aber den Boden unter den Füßen verlieren wir,
wenn wir Hand an unsere Wurzeln legen!

Was wird dann geschehen?
Wir werden verarmen.
Und wir vergehen.

Gisela Munz-Schmidt

Butterflies ( In Sipplingen )

You see butterflies rare

in the sunlight´ s flare

at the hot hilly side.

O could like them through the air I glide!

O could I exceed

caterpillar´ s greed

and overcome the pupa´s need!

O could I fly

and swing in the blue

of the warm sky,

fly this summer with you.

Gisela Munz-Schmidt

From: My WAY ALONG LAKE Constance
verlag StadleR

Die Libelle

Ach deine starre Hülle
hängt noch am Halm.

Die Not war groß,
du kämpftest und stießst,
dann ließst du los
und härtetest dich an der harschen Luft.

Da zog ein Duft nach Wasser
dich zum Teich.

Du flogst. Nach Beute und nach Liebe. Auf deine Art.

Dein ganzer Leib ein Glanz. Die Flügel klirrend hart.



Gisela Munz-Schmidt
Foto: Johanna Wegerich

VERBINDUNGEN

Mitten in der Nacht
bin ich am Mondschein aufgewacht.
Die Sonne
sendet mir Grüße.

Gisela Munz-Schmidt  
Vollmond in Owingen
Schmuck aus Ghana
Ausschnitt

Die Sonne

Und jeden Morgen steigt sie aus dem Meer,
um ihren Tageslauf von neuem anzutreten.
Sie ist so schön. Ich möchte sie anbeten
und liebe sie wie eine Göttin sehr.

Doch ahn ich ihre Unerbittlichkeit und ihre Strenge,
als könne sie in einem harten Zorn
uns und das ganze Land zerstören und verdorrn,
als geißele sie und brenne sie und senge.

Ein jeder Tag beginnt jedoch, als ob sie neu mich lade
an ihren Tisch der Wärme und der Gnade:
Sie hat uns alles gut bereitet.

Da bin ich, ihre Tochter, mit ihr und ihrem treuen Gatten,
dem ruhigen stillen dunklen Schatten,
der sie auf ihrem runden Gang begleitet.

Gisela Munz-Schmidt 
Sonett
Kleine Replik des Diskuswerfers von Myron
aus Alabaster in unserem Regal

Wechselwirkungen

Ich bewege etwas.

Es bewegt mich.

Ich berühre etwas.

Es berührt mich.

Ich treibe etwas voran.

Es treibt mich um.

Ich ergreife etwas.

Ich bin ergriffen.

Gisela Munz-Schmidt

„ POST NUBILA PHOEBUS“

( Nach Wolken Sonne )

Lateinisches Sprichwort

„AUF REGEN FOLGT SONNENSCHEIN“

Deutsches Sprichwort
Regression und Neuanfang

Wenn ich in den Mondschatten gleite
und ich schlafwandle,
träume statt handle,
die Flügel ausbreite,

wenn ich Lautes und Grelles meide,
in Sümpfen wate,
aus Schritt und Tritt gerate
und an mir selber leide,

wenn mich das Dunkle umweht wie eiskalter Wind,
bin ich ein hilfloses Kind,
das einsam greint,

bin ich, wie Sterbende sind,
um die keiner weint,
bis wieder, aus Wolken, die Sonne scheint.

Gisela Munz-Schmidt 
Sonett


Strauchpäonienblüte in unserem Garten

Gedichte vom Bodensee: Ungeheuerliches in Überlingen : Die Frau und der Löwe

Überlingen Bild von Horst Müller

Eine Überlinger Sage:

Die Frau und der Löwe

Zu Staub zerfällt die Welt.
Ins Grab
geht alles Leben hinab.
So lautet das Gesetz.

Doch gibt es Kräfte,  die dem widerstehen.
Erinnerung ist eine solche Spur vom Einst ins Jetzt,
und auch das Wort erhält.
Gegen das Fallen und Verlieren steht Liebe auf und überwindet.

Beim Tor lebt‘ eine Frau,
die hatte nur ein einziges Kind,
das liebte sie so sehr,
dass andere sagten,
sie wär‘ vor Liebe blind.
( Wir wissen wohl, wie Liebe blendet,
doch auch, dass sie erkennt.)
Jedoch so kurzen Blicks, wie oft die Leute sind,
wollten sie diese Ansicht gar nicht gelten lassen.
Da irrte eines Tages durch die Straßen und die Gassen
von Überlingen ein Löwe.
Woher? Wohin? Kein Mensch hat‘s je gewusst!
Er lief geradewegs zum Hause jener Frau
und nahm mit großem Maul das vielgeliebte Kind,
als sei es Löwenfutter,
von ihrer Brust.
Die Mutter,
ganz außer sich und offenen Haares,
entriss es ihm.
Da war‘s gerettet,
und der Löwe, vom Löwenmut der Frau geschlagen,
zog knurrend ab mit leerem Magen
und ward nie mehr gesehen.

Den Löwenkopf ließ jene Frau
aus Stein als Angedenken hauen
und diesen Stein ins Haus einbauen.

Das Haus verfiel, ein Spiel der Zeit,
der Löwenkopf, er wurde abgenommen,
ist aber später dann verkommen,
der Stein zu Sand und Staub zerfallen.

Das Wort, das Lied, nimmt Sand und Staub
und macht daraus den Stein, der ewig hält.
Darum wird allen Leuten die Sage von der tapferen Frau erzählt.

Ich glaube wohl, sie soll bedeuten:
Selbst wenn es starke Gegenmächte gibt,
wachsen dem Menschen Kräfte,
wenn er liebt.

Gisela Munz Schmidt
Aus:
Sagenhaftes Überlingen 
Owingen Salem Heiligenberg
( Quelle: Theodor Lachmann, 
Sagen und Bräuche am Überlinger See)

Erhältlich im Städtischen Museum Überlingen
und bei Gisela Munz-Schmidt





Der Ochsensprung vom Katharinenfelsen

Steindruck von I.A. Pecht, Konstanz,1832, Die alte Felskapelle St. Catarina bey Überlingen

Der Ochsensprung vom Katharinenfelsen

Molassefelsen prägen das Land,
und jener, der am höchsten stand,
heißt immer noch Katharinenwand,
weil dort, vor alter langer Zeit
eine Kapelle war, Katharina geweiht.

An einem heißen Tag im frühen Sommer
pflügte dort ein Bauer, ein braver und frommer,
fleißig und unverdrossen und wacker
mit seinem Ochsengespann seinen Acker.
Die Arbeit war mühevoll und schwer,
doch sein liebes Töchterlein half ihm sehr,
sie führte auf diesem steilen Hügel
das Ochsenpaar geschickt am Zügel.
Doch die Tiere, von bösen Bremsen gestochen,
waren plötzlich wild und ausgebrochen,
gerieten außer Schritt und Tritt,
sie rissen das junge Mädchen mit,
es half kein Ruf mehr, es half kein Stab,
sie stürzten zusammen die Felswand hinab.
Der Bauer in seiner Herzensnot,
vor seinen Augen des Kindes Tod,
rief laut zu Hilf Katharina an.
Die Heilige hat das Ihre getan:
Als der Bauer zum Seegrund war gekommen,
sind Tochter und Tiere im See geschwommen,
und es fanden sich weder Wunden noch Spuren
des Sturzes, nicht die geringsten Blessuren!

Katharina sei Dank, der gute Mann
brachte Pflug heim und Kind und Ochsengespann -
was er im See so wohlbehalten fand,
gerettet von Katharinas Hand.

Gisela Munz-Schmidt

Aus: SAGENGEDICHTE von Gisela Munz-Schmidt
Owingen, 2004
 
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