Lyrik vom Bodensee

Kategorie: Sagen und Burgen

SAGEN vom BODENSEE Die treue Amme auf Bodman

Fresko von Gottlob Gutekunst, 1846
mit freundlicher Genehmigung von Wilderich Graf Bodman

Die treue Amme auf Bodman

Zu Bodman im großen Rittersaal
saßen Herren beim Rittermahl
anno 1307,
so hat es der Chronist geschrieben.
Zwar war der Hausherr gerade auf Reisen,
doch auch ohne ihn ließ es sich trefflich speisen.
Sie aßen und zechten und lachten,
nichts Böses sie ahnten, sie machten
Pläne, redeten, tranken
und breiteten aus so manchen Gedanken
und erzählten vielleicht auch so manchen Witz.
Da plötzlich! Aus düsterem Himmel ein Blitz!
Und dann ein grollender Donnerschlag,
die Nacht grell erleuchtet wie heller Tag.
Es saßen todgeweiht die Ritter
mitten in diesem Feuergewitter.
Und ach! Eine riesige lodernde Flamme!
Das sah tief erschrocken die treue Amme.
Ihr Herz, das zuckte: „Das Kind! Der Erbe!
Was kann ich tun, dass er nicht sterbe!“
Versperrt durchs Feuer waren Stiegen und Gänge,
doch unten standen die Leut im Gedränge 
und sahen entsetzt und fassungslos 
das lichterloh brennende Ritterschloss.
Da nahm die Amme ganz geschwind 
das geliebte Kind 
und packte es in Kissen ein,
legte es in einen Kessel hinein,
verschloss denselben, einen Spalt ließ sie offen
und rief hinunter, mit Bangen und Hoffen:
“Hebt auf das Kind! Nehmt in Gotts Namen an es, 
es ist der Erbe, der kleine Johannes!“
Im Gestrüpp blieb er hängen, im Kessel gebettet,
die Leute fanden ihn, das Kind war gerettet.
Der Burgherr selbst, als er kehrte zurück,
fand Unglück vor, doch fand er auch Glück,
seine Burg zwar verbrannt, doch sein Kind am Leben.
Was kann es größere Freude geben?
Alle von Bodman, die nach ihm kamen,
tragen bis heute Johannes im Namen.
So ist es geschehen, vor langer Zeit.
Die treue Amme hieß Adelheid.

Gisela Munz-Schmidt 

Nach: Theodor Lachmann, Sagen und Bräuche am Überlinger See


Wo die Burg gestanden, ließ der Burgherr Hans von Bodman eine Kapelle bauen zu Ehren „Unserer lieben Frauen“, weshalb der Berg von jetzt an Frauenberg genannt wurde.

Siehe auch die ausführliche BROSCHÜRE
Der Frauenberg
1997 Denkmalstiftung Baden- Württemberg

Sagen vom Bodensee

Das Nebelmännle von Bodman

Das Nebelmännle von Bodman

Das Trübe, Vage, Falbe, Nasse,
das Ungewisse und das Blasse,
feuchtes Wabern, hell und bleich,
das ist des Nebelmännleins Reich.
Blicklos, sichtlos, weiß wie Milch,
im Nebel herrscht der kleine Knilch.
In seinen fahlen grauen Schwaden
bewirkt das Männlein manchen Schaden,
sein Nebelstreif
erschafft den Reif
an ersten zarten Rebenblüten,
und auch die Fischer sollten sich hüten,
dass der Nebel sie nicht gänzlich verwirre
und sie führe in die Irre
und das Männlein sie in die Tiefe zieht,
wie das so manches Mal geschieht.

Doch einem Herrn von Bodman verhalf es zum Glück.
Blicken wir in das Vergangene zurück:
Der Ritter, bevor er verließ sein Haus,
tauschte liebend zwei goldene Ringe aus,
wenn nach sieben Jahren er nicht wiederkäme,
seine Liebste einen anderen zum Manne nähme.
Er ritt in die Ferne, sah Länder weit,
sah Berge und Meere, so verging die Zeit.
Da lockte ihn auf einen Hügel ein Licht.
Ein kleines Männlein zu ihm spricht.
Es wollte ihm ein Versprechen entlocken.
Ihn störten so sehr die Nebelglocken!
Wenn der Ritter das Läuten unterbinde,
er seine Braut gleich wiederfinde.
Schneller als Wind und alle Pfeile,
wie des Menschen Gedanken so schnell er eile
nach Bodman. Als dann die Braut ihrem Glas einen Ring entnahm,
erkannte sie ihren Bräutigam.
So drang der Liebe Sonnenschein
in den dichten Nebel ein.
Und versprochen! Wahrhaftig bis heute
schweigt der Nebelglocken Geläute.

Gisela Munz-Schmidt

Nach: Theodor Lachmann, Sagen und Bräuche am Überlinger See

SAGEN und SAGENGEDICHTE Hohenbodman Die Sage vom Goldenen Kegelspiel

Aus: Rudolf Koch, Der Linzgauleuchtturm Hohenbodman, Münster 2019, S.26

Heute möchte ich es mit einer Sage ganz genau nehmen und den Unterschied zwischen Vorlage, Ausarbeitung und Deutung aufzeigen.

  1. Die Vorlage
  2. Meine Gestaltung als Ballade
  3. Meine Deutung

Die Vorlage, meine Quelle, steht unter dem Titel „ Das Ritterfräulein von Hohenbodman“ in der Sammlung des Überlinger Arztes und Museumsgründers Theodor Lachmann unter der Rubrik „Owingen mit Bambergen und Hohenbodman“ als Nr. 91 auf Seite 113 in der Ausgabe von 1972.

….Früher, namentlich um die Fastenzeit, sah man manchmal eine Frauengestalt im weißen Gewand um den Turm spazieren gehen. Auch will man dort einen feurigen Mann oder auch ein Licht wahrgenommen haben, die aber verschwanden, wenn man auf sie zuging. Der Sage nach hatte dereinst ein Ritterfräulein von Hohenbodman eine Liebschaft mit einem Burschen der Gegend, der weit unter ihrem Stand war. Bei einem Stelldichein mit ihrem Geliebten wurde sie von ihren Brüdern getroffen und von ihnen auf der Stelle ermordet. Unter dem Turm soll sich ein Keller mit Schätzen befinden, unter ihnen ein goldenes Kegelspiel. Aber niemand kann es finden….

Meine Gestaltung:

Gisela Munz- Schmidt, Sagenhaftes Überlingen Owingen Salem Heiligenberg ,Gedichte um alte Sagen, Owingen 1990

Meine Deutung

Mein zentrales Motiv war die Liebschaft des Fräuleins und des Burschen. Ich habe mir ausgemalt, wie es dazu kommen konnte, und eine Notsituation erfunden, die einen hohen emotionalen Druck erzeugte. Der Bursche hatte Todesangst vor den Wölfen, die hier als fürchterliche Bedrohung eingesetzt sind. ( Das hat mit meiner persönlichen Meinung zu wirklichen Wölfen nichts zu tun! ) Auch das Fräulein hatte Angst, und es war ihr unheimlich – wilde Wölfe, Mondnacht, klirrende Kälte – das alles wühlte sie auf.
Die Liebesgeschichte reduziert sich auf die Frage: Kannst du mir Zuflucht geben? Und die Antwort durch eine Handlung : sie…ließ den Burschen ein.
Durch eine Sondersituation waren die Standesunterschiede aufgehoben, zwei Menschen begegneten einander, die dieselben Gefühle verband. Ich fand es schön, dass sich die symbolhafte Wolfshorde in ein goldenes Kegelspiel verwandelte. Das Triebhafte, Angstbesetzte wurde zivilisiert und veredelt, ich glaube, durch die Liebe.
Die Strafe der Brüder habe ich weggelassen, weil ich den von mir gewählten Kern der Geschichte nicht zerstören wollte. Den Brüdern waren andere Werte wichtig, und durch den Mord, hier ein Ehrenmord, gab es die sogenannten Unerlösten, die Wiedergänger und Untoten, die als Lichterscheinungen oder Feuergestalten umhergehen und spuken müssen. Das wäre ein anderes Sagenmotiv, das häufig in verschiedenen Gegenden vorkommt. Ich aber wollte die schicksalhafte phantasierte Begegnung des Liebespaares einfach so folgenlos stehen lassen.
Ich bin nicht oft so weit über eine Vorlage hinausgegangen. Darf ich das? Aber natürlich! Dazu berechtigt mich meine Licentia poetica, meine dichterische Freiheit.

Inzwischen habe ich eine andere Interpretation geschrieben:

Das Ritterfräulein von Hohenbodman

Um den Turm herum eine weiße Gestalt,
ein Ritterfräulein, die Sage ist alt,
erlag dereinst der Liebe Gewalt.
Ihren Liebsten sie fand
unter ihrem Stand.
Die Liebschaft jedoch war von kurzer Dauer,
ihre Brüder legten sich auf die Lauer
und ermordeten grausam sie und ihn.
Unerlöst sieht man nachts um die Burg sie ziehn.

Gisela Munz-Schmidt 

Wilderich Graf Bodman : „ Diese Sage entbehrt jedenfalls einer nur annähernden historischen Bestätigung.“

Vergleiche dazu die Sage von Albero von Bodman und den von Graf Bodman erläuterten historischen Hintergrund.

Sagen vom Bodensee: Albero von Bodman

Albero von Bodman

Der mittelalterliche Ritter Albero von Bodman war in einem Kreuzzug in türkische Gefangenschaft geraten. Da er seinem christlichen Glauben nicht abschwören wollte, wurde er jahrelang festgehalten. Er sehnte sich nach seiner Heimat Hohenbodman.

Sehnsucht nach Heimat,

was bedeutet das?

Sehnsucht nach Kindheit, Geborgenheit,

nach Unbefangenheit,

nach Spielen im Wald, im Feld, im Gras,

nach Singen und Lachen und Stromern und Schweifen,

mit Hunden und Pferden die Gegend durchstreifen,

Sehnsucht nach Freude und Spaß.

Nach Verstecken

und Entdecken.

Nach Springen und Ringen und Toben,

nach Kräfteerproben!

Und nicht zu vergessen:

Nach Lieblingsessen!

Nach dem Duft der Kindheit und nach Gerüchen

in Stuben und Ställen und Kellern und Küchen.

Nach vertrauten Lauten, geteilten Geheimnissen,

nach Lernen, Erfahren und Hören und Wissen.

Sehnsucht nach Freunden und Kameraden,

nach Mutter und Vater und allen Lieben,

der ersten, der letzten, der großen,

nach Umarmungen, nach Küssen und Schmusen und Kosen…

Wie durch ein Wunder, mit göttlicher Hilfe, konnte er heimkommen.

Als Dank hat er die Kapelle Maria im Stein gestiftet, weil er da seine Burg zum ersten Mal wiedersah.

1217 starb er in seiner geliebten Heimat.

Hier können wir seiner Sehnsucht nachspüren.

Gisela Munz-Schmidt

Wilderich Graf Bodman schrieb mir auf meine Nachfrage:

„Leider haben wir keine Unterlagen über diesen Namensträger, der der Überlieferung nach die Kapelle Maria im Stein gestiftet hat. In unserer Stammtafel wird ein Albero de Podeme genannt, der 1213 auf einer Urkunde des Stauferkönigs Friedrich II. als Zeuge aufgeführt ist. Sein Sohn, der angeblich 1217(?) verstorbene Albero de Bodemin, hat nach einer Salemer Urkunde 1217 dem Kloster einen Weinberg bei Überlingen übergeben, weil er sich einem Kreuzzug angeschlossen hat.
Im Zusammenhang mit diesen Familienmitgliedern können Sie gerne das Stammwappen mit den drei Lindenblättern aufnehmen.“

Wappen von 1340
in Hohenbodman steht die tausendjährige Linde, daher wohl die drei Lindenblätter im Wappen derer von und zu Bodman

Quellen: Gedenktafel Maria im Stein

Broschüre Lippertsreute Maria im Stein, Regensburg 2000 S.4

Unten: Wegtafel mit Informationen zu Maria im Stein als Wallfahrtsort

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Gedichte vom Bodensee : Die Haltnau-Sage von der buckligen und klugen Wendelgard

Die Haltnau bei Meersburg
Aquarell von Sibylle Buderath
Wendelgard von Halten

Die Haltnau-Sage erzählt uns genau
die Geschichte einer besonderen Frau.
Schlechtes und Gutes, Fluch und Segen
tat das Schicksal ihr in die Wiege legen.
Doch was es ihr auch hat gebracht,
sie hat das Beste daraus gemacht.

Erbin war sie von großem Besitz
direkt am See - und Mutterwitz
und ein klarer Verstand,
eine liebe Art, eine offene Hand,
das alles sprach man gern ihr zu.
Aber anderes ließ ihr keine Ruh:
Sie trug einen Höcker auf dem Rücken,
konnte schlecht gehen und kaum sich bücken,
war überdies auch im Gesicht 
wahrhaftig eine Schönheit nicht.
Sie hatte ein Schnäuzlein wie das eines Schweines,
ein Rüsselchen eben, wenn auch ein kleines.
Je älter sie wurde, je mehr offenbar
warn die Mängel, und sie ihrer gewahr.
Es ließ auch das Höhnen und Spotten nicht nach.
So seufzte sie häufig:“O weh und o ach!“
und weinte in ihr Schüsselchen:
„Keiner gibt mir ein Küsselchen!“

Oft hat sie darüber nachgedacht,
die Tränen getrocknet: „Es wär doch gelacht,
wenn alles, selbst wenn ich mich schäme,
nicht doch ein glückliches Ende nähme!
Schließlich hinterlasse ich, wenn ich sterbe,
ein beachtlich großes Erbe!“
Also schritt sie energisch zur Tat
und ließ kommen den Meersburger Rat,
dem sie die Sache zur Sprache brachte 
und ausgeklügelt den Vorschlag machte:
Bis an ihr seliges Ende sollte
einer der Räte, so wie sie es wollte,
jeden Sonntag, nach dem Morgenkuchen,
zur Gesellschaft sie besuchen,
sie würden ausfahren und dinieren,
ubd danach noch gut soupieren,
und zum Abschied gäb‘s als Dank ein Küsselchen
auf das Wendelgardsche Rüsselchen.
So hätte sie wenigstens wöchentlich eben 
eine schöne Freude und etwas vom Leben.
Und wenn ihr Gott dann die Lider schließe
erbe Meersburg alles, Weinberg und Wiese.

Aber der Rat tat sich gerieren,
die Räte sich genieren und zieren,
und sie gaben hochnäsig abschlägig Bescheid 
und sagten nicht einmal: „Es tut uns leid.“

Jungfer Wendelgard ließ sich‘s nicht verdrießen 
und kam zu folgendem Beschließen:
Wenn der Nachbar gar nicht will zur Linken,
werde ich über den Bodensee winken,
vielleicht geht Konstanz den Handel ein
und will der Haltnau Besitzer sein?
Sie trug ihr Erbe Konstanz an,
und die Räte, Mann um Mann,
kamen , ohne zu murren oder zu fluchen,
tapfer zum sonntäglichen Besuchen.
Sie standen pflichtschuldig durch das Programm,
und als dieses jeweils zu Ende kam,
gab‘s noch zum Schluss auf‘s Rüsselchen 
ein beherztes Küsselchen.
So ging es Woche um Woche, Jahr um Jahr,
und als Wendelgard betagt gestorben war,
fielen Wiese und Weinberg und Ross und Kuh,
fiel alles den wackeren Konstanzern zu.

Konstanz hat Mitleid und Weitblick bewiesen,
und wir können die Haltnau noch heute genießen.

Gisela Munz-Schmidt 

Quellen: Gedenktafel am Weingut Haltnau und Theodor Lachmann, Sagen und Bräuche am Überlinger See, Weißenhorn, 1972

🥨 Ein Bäcker aus Bad Urach erfand die Brezel

Hierzulande begleiten die Brezeln ein Leben.
Sie werden schon kleinen Kindern gegeben,
spätestens dann, wenn sie greinen und zahnen.
Man gibt sie später noch zahnlosen Ahnen.
Dazwischen zu jeder Gelegenheit,
zur Morgen- und zur Abendzeit.
Die Brezel ist von früh bis spät
eine köstliche Spezialität!
Gebuttert oder ungebuttert,
ein jeder gerne die Brezel futtert,
zu Milch, zu Most und zum Kaffee,
zu Wein, zu Sekt, zu Saft und Tee,
und manche sind so auf die Brezeln versessen,
dass sie sogar Weißwürste mit Brezeln essen!
Rösch, braun und salzig über der Lauge,
zu jedem Imbiss die Brezel tauge,
bei der sich das Weiche mit dem Harten
auf wirklich gelungene Weise paarten.

Kulturelles Urgestein?
Nein und nein und nochmals nein!
Die Brezel, die wir uns lassen munden,
wurde in hoher Not erfunden.

In Bad Urach lebte ein Bäckersmann,
der eine Untat hatte getan.
Man hatte ihn bekommen zu fassen,
und er sollte nun sein Leben lassen.
Doch weil´s einen Unbescholtenen traf,
hatte Mitleid der Richter, ein alter Graf,
und sprach zu ihm: “Du kannst noch hoffen,
ich lasse dir einen Ausweg offen,
entweder bist du morgen tot,
oder du bäckst mir noch heute ein Brot,
durch das die Sonne dreimal scheint,
dann bist du frei mit den Deinen vereint.“

Der Bäcker, der seinen Frevel bereute,
ging schnell ans Werk, keine Mühe er scheute,
aber es wollte ihm nicht gelingen,
ein solches Kunstwerk fertig zu bringen.
Da nahm er vom Brotteig ein kleineres Stück,
rollte den Teig hin und wieder zurück
mit bebendem Herzen und angst und bange
dachte er an den Teufel, die Schlange,
die ihn vom Galgenseil würde trennen
und ließe ihn in der Hölle brennen.
Da erschrak er bis in sein Inneres hinein,
schlug die Enden im Zeichen des Kreuzes ein,
während er an die Erlösung dachte.
Ein kleines Wunder war, was er da machte!
Er buk´s, und als er´s hob, siehe da!
Die Sonne er dreifach scheinen sah.

Da war auch für den Grafen klar,
dass der Bäcker dadurch gerettet war.

So wurde in todesschweren Stunden
in Bad Urach die erste Brezel erfunden.

Gisela Munz-Schmidt

Nach Ines Heim, Sagen von der Schwäbischen Alb,
Karlsruhe, 1992

Anmerkung:

Bad Urach die Ehre, so ist´ s guter Brauch,

doch anderswo schmecken Brezeln auch!

Der Bäcker Mayer, Seestraße 8,

hat schon immer die besten Brezeln gemacht!

Gedichte vom Bodensee: Ungeheuerliches in Überlingen : Die Frau und der Löwe

Überlingen Bild von Horst Müller

Eine Überlinger Sage:

Die Frau und der Löwe

Zu Staub zerfällt die Welt.
Ins Grab
geht alles Leben hinab.
So lautet das Gesetz.

Doch gibt es Kräfte,  die dem widerstehen.
Erinnerung ist eine solche Spur vom Einst ins Jetzt,
und auch das Wort erhält.
Gegen das Fallen und Verlieren steht Liebe auf und überwindet.

Beim Tor lebt‘ eine Frau,
die hatte nur ein einziges Kind,
das liebte sie so sehr,
dass andere sagten,
sie wär‘ vor Liebe blind.
( Wir wissen wohl, wie Liebe blendet,
doch auch, dass sie erkennt.)
Jedoch so kurzen Blicks, wie oft die Leute sind,
wollten sie diese Ansicht gar nicht gelten lassen.
Da irrte eines Tages durch die Straßen und die Gassen
von Überlingen ein Löwe.
Woher? Wohin? Kein Mensch hat‘s je gewusst!
Er lief geradewegs zum Hause jener Frau
und nahm mit großem Maul das vielgeliebte Kind,
als sei es Löwenfutter,
von ihrer Brust.
Die Mutter,
ganz außer sich und offenen Haares,
entriss es ihm.
Da war‘s gerettet,
und der Löwe, vom Löwenmut der Frau geschlagen,
zog knurrend ab mit leerem Magen
und ward nie mehr gesehen.

Den Löwenkopf ließ jene Frau
aus Stein als Angedenken hauen
und diesen Stein ins Haus einbauen.

Das Haus verfiel, ein Spiel der Zeit,
der Löwenkopf, er wurde abgenommen,
ist aber später dann verkommen,
der Stein zu Sand und Staub zerfallen.

Das Wort, das Lied, nimmt Sand und Staub
und macht daraus den Stein, der ewig hält.
Darum wird allen Leuten die Sage von der tapferen Frau erzählt.

Ich glaube wohl, sie soll bedeuten:
Selbst wenn es starke Gegenmächte gibt,
wachsen dem Menschen Kräfte,
wenn er liebt.

Gisela Munz Schmidt
Aus:
Sagenhaftes Überlingen 
Owingen Salem Heiligenberg
( Quelle: Theodor Lachmann, 
Sagen und Bräuche am Überlinger See)

Erhältlich im Städtischen Museum Überlingen
und bei Gisela Munz-Schmidt





Der Ochsensprung vom Katharinenfelsen

Steindruck von I.A. Pecht, Konstanz,1832, Die alte Felskapelle St. Catarina bey Überlingen

Der Ochsensprung vom Katharinenfelsen

Molassefelsen prägen das Land,
und jener, der am höchsten stand,
heißt immer noch Katharinenwand,
weil dort, vor alter langer Zeit
eine Kapelle war, Katharina geweiht.

An einem heißen Tag im frühen Sommer
pflügte dort ein Bauer, ein braver und frommer,
fleißig und unverdrossen und wacker
mit seinem Ochsengespann seinen Acker.
Die Arbeit war mühevoll und schwer,
doch sein liebes Töchterlein half ihm sehr,
sie führte auf diesem steilen Hügel
das Ochsenpaar geschickt am Zügel.
Doch die Tiere, von bösen Bremsen gestochen,
waren plötzlich wild und ausgebrochen,
gerieten außer Schritt und Tritt,
sie rissen das junge Mädchen mit,
es half kein Ruf mehr, es half kein Stab,
sie stürzten zusammen die Felswand hinab.
Der Bauer in seiner Herzensnot,
vor seinen Augen des Kindes Tod,
rief laut zu Hilf Katharina an.
Die Heilige hat das Ihre getan:
Als der Bauer zum Seegrund war gekommen,
sind Tochter und Tiere im See geschwommen,
und es fanden sich weder Wunden noch Spuren
des Sturzes, nicht die geringsten Blessuren!

Katharina sei Dank, der gute Mann
brachte Pflug heim und Kind und Ochsengespann -
was er im See so wohlbehalten fand,
gerettet von Katharinas Hand.

Gisela Munz-Schmidt

Aus: SAGENGEDICHTE von Gisela Munz-Schmidt
Owingen, 2004
 

DIE BURG





Ölgemälde von Rudolf Munz
2000
Die Burg

Sagenumwoben 
sei die Burg,
so sagten sie, droben.

Wir stiegen hinauf, wo andere ritten,
umarmten einander, wo andere stritten,
scherzten da, wo andere litten,
inmitten der Mauern,
die fallen und dauern.
Falter flattern ums Gesicht,
Eidechsen huschen auf Steinesbänder,
weit blendende Sicht über Hügel und Berge und Länder,
auf Eisengeländer 
zerfallende Ränder,
vergessenes Rauschen ferner Gewänder.
Ein lautes Lied 
vom hohen Fried,
neben eingewachsenem Fries
Rüstungen, Ketten, Harnisch und Spieß,
Klagen aus Schutt und Verlies,
dazwischen Efeu, Ehrenpreis,  Rosen, Klee,
verklungenes Wimmern und Jammern
auf Stiegen, in Sälen, in Küchen und Kammern,
im Palas des Troubadouren Gedicht
von Neigung und Pflicht,
Dienst, Mut und Minne,
Krieg, Niederlage und Sieg -
Wir hielten inne,
verstanden den Pfad der eilenden Spinne,
begriffen Jubel und Weh:
belagern, erobern,
hungern und essen,
hauen und kosen,
streiten und raufen,
feiern und saufen,
stöhnen und röcheln und schnaufen,
liegen, stehen, reiten, sitzen,
frieren und schwitzen,
alleine und miteinander schlafen, 
loben, lachen, lieben, hassen, strafen
in allen Farben, schwarz und weiß -
tiefer Schacht,
Tag, Nacht,
Macht, Ohnmacht,
frei und gefangen,
Hoffen und Bangen,
Lohn, Hohn und Gericht,
das Rad und der ewige Kreis.

In jeglichem Reich
sind so alle Burgen.
So oder ähnlich und gleich.

Gisela Munz-Schmidt





Ich bin im Neckartal aufgewachsen und habe von Kindheit an Burgen als eigene besondere Welten erlebt. Inzwischen habe ich viele Burgen und Schlösser besucht und besichtigt, zwischen Verfall und Erhalt, und nie kann ich mich der Atmosphäre entziehen, die solche Schauplätze der Vergangenheit und Gegenwart darstellen.

Im Eigenverlag – und mit Unterstützung des Landkreises Bodenseekreis – habe ich zwei Hefte herausgegeben, die Sagengedichte aus unserer Region enthalten.

Da sie sich im Inhalt auf die Sammlung „ Sagen und Bräuche am Überlinger See“ von Theodor Lachmann beziehen, sind sie auch im Überlinger Museum erhältlich.

Der Medizinalrat Theodor Lachmann hatte seit 1870 eine Sammlung von Altertümern zur Überlinger Geschichte angelegt, die den Grundstock des städtischen Museums bildete, das 1913 von Victor Mezger im Reichlin-von-Meldegg-Haus eingerichtet wurde.

Ein Besuch des Museums lohnt sich!

“Kulturhistorisches Museum mit historischen Räumen, Kapelle, Kunst, Relikten und Garten mit Seeblick“





Titelbild: Stahlstich von Corradi
“Gallerthurm in Überlingen“
Titelbild: Steindruck von I.A.Pecht
„Die alte Felskapelle St. Catarina bey Überlingen“