Es schießt eine Kraft ein über die Berge und jagt die Wolken über den Horizont wie zitternde Schafe.
Belle ich mit oder werd ich getrieben? Etwas brüllt laut in mir auf, während ein anderes flieht.
Gisela Munz-Schmidt
Fernweh
Mit den Wolkenschwestern ziehen können, wilde Nomadinnen der Luft. Den Wechsel uns anverwandeln. Statt gehen, tun und ruhen schweben und wirken und handeln.
Gisela Munz- Schmidt
Stille
Ich lege mich mit dem Wind schlafen, in ein Schiff. Es ist ganz leer. Ruhig im Hafen. Uns, die wir erst uns trafen, gibt es nun beide nicht mehr.
Sie war aus Marmor und war fein und zart und hielt die Hand aus, und da stieß er nieder, aus Rot und Gold ein stiebendes Gefieder und saß vollendet wie ein freier fester Traum.
So war es immer wieder. Er flog die Kreise am Tag im wilden Raum nach Falkenvogelweise und kam in selber Art auf ihre Hand zurück und schüttelte den Regen aus den Federn, den Staub, das Laub, den Abendtau.
Man sagt, des Nachts, ich weiß es nicht genau, wurd aus dem Falk ein Mann und aus dem stolzen Marmorbilde schälte sich die warme Frau. Ihr Name oder seiner war Glück.
Mehr weiß ich nicht, es ist schon lange her. Ich weiß gewiss nicht mehr.
Unsere Hände
Ich sehe eine Hand, seh´, wie sie sucht.
Sie tastet über Ecken, Kanten, Bogen,
als wäre sie von Grenzen angezogen,
voll Unrast, wie ein irrer Geist, verflucht.
Ich blicke stumm auf meine Hände.
Was haben sie getan, was unterlassen!
In ihnen liegt mein Tun, mein Lieben und mein Hassen.
Es ist, als ob mein Leben ich in ihnen fände.
Alle Vergangenheiten fließen durch die Poren,
was wir erstrebten und was wir verspielten,
was wir gewonnen haben und was wir verloren.
Und unsere Hände, sie begriffen, wenn wir fühlten, wenn wir zielten!
Oft leben wir getrennt, einsame Toren.
Wie wäre es, wenn wir uns an den Händen hielten?
Gisela Munz-Schmidt
Aus: Sonette
Alabasterfigur Diskuswerfer, Teilansicht
Porzellanfigur T. v. Waldenfels, Teilansicht
Ufer
Ufer ist das, was trennt.
Ufer ist das, was verbindet.
Und so ist das Ufer jenes Stück Land,
das ist wie das Wort.
Und die Hand.
Gisela Munz-Schmidt
Aus dem Lyrikbildband Wege zum See, Verlag Stadler, Konstanz
Die Sonne
Ein großer Feuerball
im kalten All,
das Leitgestirn, die Sonne.
Brand, Hitze, Feuersbrunst,
doch Leben auch und Wonne.
Nur durch den Sonnenstern
wächst jeder Samen, jeder Keim und jeder Kern.
Ich bin mitnichten
der erste Mensch, der sie verehrt
und bittet um die Gunst,
dass sie uns scheint
und wiederkehrt.
Überall gibt es Geschichten und Sagen.
Die Göttin! Ein Gott in einer Barke oder einem Wagen,
der in einem hohen Bogen,
von Pferden oder Drachen fortgezogen,
über unseren Himmel fährt.
Aufgestiegen, hinabgesunken,
in warmen Strahlen und glühenden, glänzenden Funken.
Und auch in mir
ist das Sonnengeflecht
und in dir...
Gisela Munz- Schmidt
Mitten in der Nacht
bin ich am Mondschein aufgewacht.
Die Sonne
sendet mir Grüße.
Gisela Munz-Schmidt
Die Sonne
Und jeden Morgen steigt sie aus dem Meer,
um ihren Tageslauf von neuem anzutreten.
Sie ist so schön. Ich möchte sie anbeten
und liebe sie wie eine Göttin sehr.
Doch ahn ich ihre Unerbittlichkeit und ihre Strenge,
als könne sie in einem harten Zorn
uns und das ganze Land zerstören und verdorrn,
als geißele sie und brenne sie und senge.
Ein jeder Tag beginnt jedoch, als ob sie neu mich lade
an ihren Tisch der Wärme und der Gnade:
Sie hat uns alles gut bereitet.
Da bin ich, ihre Tochter, mit ihr und ihrem treuen Gatten,
dem ruhigen stillen dunklen Schatten,
der sie auf ihrem runden Gang begleitet.
Gisela Munz-Schmidt
Sonett
Wechselwirkungen
Ich bewege etwas.
Es bewegt mich.
Ich berühre etwas.
Es berührt mich.
Ich treibe etwas voran.
Es treibt mich um.
Ich ergreife etwas.
Ich bin ergriffen.
Gisela Munz-Schmidt
„ POST NUBILA PHOEBUS“
( Nach Wolken Sonne )
Lateinisches Sprichwort
„AUF REGEN FOLGT SONNENSCHEIN“
Deutsches Sprichwort
Regression und Neuanfang
Wenn ich in den Mondschatten gleite
und ich schlafwandle,
träume statt handle,
die Flügel ausbreite,
wenn ich Lautes und Grelles meide,
in Sümpfen wate,
aus Schritt und Tritt gerate
und an mir selber leide,
wenn mich das Dunkle umweht wie eiskalter Wind,
bin ich ein hilfloses Kind,
das einsam greint,
bin ich, wie Sterbende sind,
um die keiner weint,
bis wieder, aus Wolken, die Sonne scheint.
Gisela Munz-Schmidt
Sonett
Offene See
Glänzende Gischt der Gegenwart!
Weite Wellen,
welche an endlosen Stränden versanden.
Albatrosflug.
Äneasfahrt.
Irgendwann
irgendwo
landen.
Gisela Munz-Schmidt
Aus: Kleine Gedichte -Große Gefühle
Liebesgedicht
Die Nähe zu dir
ist mein Sinn.
Du bist hier
bei mir,
und ich bin.
So einfach wird das:
Ein Wunder. Kein Fragen.
In guten wie in schlechten Tagen.
Ich könnt‘ auch allein sein:
ein Solotanz.
Doch wir bleiben zusammen,
und so fühl‘ ich mich ganz.
Gisela Munz-Schmidt
2022
Ich habe noch mehr Paare in unserem Haus gefunden, eine kleine Auswahl, Kunst bis Kitsch, alles dabei wie im wirklichen Leben.
Yin und Yang
Oh ja die Sonne
und zwischen den Sternen segeln!
Aber das Wasser und das Land,
deine Augen und meine Hand,
Nehmen und Geben,
Ergänzungen prägen das Leben.
Gisela Munz-Schmidt
Aus: Kleine Gedichte - Große Gefühle
Der Reim
Ich mag den Reim wie eines Freundes Hand.
Ich mag die Frage, welche eine Antwort fand.
Ich mag das Bündel und das Band.
Ich mag den runden und achatpolierten Rand.
Ich mag das Paar, das heute an dem Strand
ganz eng umschlungen beieinander stand.
Ich mag das Wasser und das Land.
Ich mag den Reim.
Gisela Munz-Schmidt
Aus: Kleine Gedichte -Große Gefühle
Was ist eigentlich die Wirklichkeit?
Liebe
Geh doch zu den Rosen,
wenn du wissen willst,
was Liebe ist.
Sich öffnen. Sich verströmen.
Sein Äußerstes
und Innerstes geben.
Trotz Regen, Sturm und Wind
für die Sonne leben.
Gisela Munz- Schmidt
Aus: Kleine Gedichte - Große Gefühle
Gehen und Verstehen
Wie hätt‘ ich das gebraucht:
mich ganz versenken.
Kein Überlegen und kein Zögern und kein Denken.
Wie gerne wär‘ ich auf den Grund hinabgetaucht.
Wie gerne wär‘ ich einfach abgeschwebt,
wär‘ wie ein Vogel losgezogen
und wäre einfach abgehoben.
Wie gerne hätt‘ ich unbewusst gelebt.
Zu leben ist ganz anders, als ich dachte.
Ich kann nur gehen, Schritt für Schritt,
und nur erweitern, wo ich einen Anfang machte.
Ich muss erfahren, wo ich lief und wo ich glitt,
ausloten, wann ich weinte, wann ich lachte,
denn mein Verstand und meine Füße müssen mit.
Gisela Munz-Schmidt
Sonett
Aus: Kleine Gedichte - Große Gefühle
Fortschritt
Ihr, meine Träume,
steht alle Spalier!
Lasst mich durch euch gehen,
zuerst mit tastenden Füßen,
dann sicheren Schritts,
in die Wirklichkeit.
Gisela Munz-Schmidt
Aus: Kleine Gedichte - Große Gefühle
Hoffnung
Wie ein Goldwäscher
siebe ich
Wörter
aus dem Sand.
Ein Nugget.
Ein Klümpchen Hoffnung,
es wäre
die Wahrheit.
Gisela Munz-Schmidt
Gelassenheit
Tu doch den Wörtern nicht -
so wie nichts und wie niemandem -
Gewalt an:
Sie stellen sich ein,
so wie Wind sich fügt um ein Blatt
oder wie Wasser,
das ruhig und lächelnd spielt an Gestein.
Gisela Munz -Schmidt
Was mir wichtig ist
Blumensträuße aus einem Garten.
Spaziergänge zu jeder Jahreszeit.
Menschen und Liebenswürdigkeit.
Überraschungsfahrten.
Das Wirken großer Bäume.
Alte und neue Reime.
Saaten, Sprösslinge, Keime.
Das Wachsen in Träume.
Am Himmel die Sterne.
Hier die Farben.
Nähe und Ferne.
Verheilte Narben.
Früchte und Garben.
Und dass ich zu leben lerne.
Gisela Munz-Schmidt
Sonett
Die folgenden Worte aus dem Stundenbuch von Rainer Maria Rilke, das ich als Schülerin freiwillig fast ganz auswendig gelernt habe, stellen gleichsam ein Lebensmotto dar, das sich auch in meiner Lyrik wiederspiegelt:
„Lass dir alles geschehen:
Schönheit und Schrecken.
Man muss nur gehen:
Kein Gefühl ist das fernste.“
Rainer Maria Rilke
Deshalb steht auch hier in meinen Gedanken und Gedichten die Schönheit der Natur neben den Schrecken des Krieges.
Der Kreis
Ich liebe das Eis,
wenn es schmilzt,
denn ich liebe
Wärme und Wasser,
und ich lebe
den Kreis.
Gisela Munz-Schmidt
Aus: Kleine Gedichte - Große Gefühle