Gisela Munz-Schmidt

Lyrik vom Bodensee

Narzissen

Wie bekannt ist, heißen Osterglocken Narzissen, nach Narziss, einem griechischen Adonis. Ein Beau.

Narziss

An eines Sees oder Flusses Gestaden
zog er sich aus. Er wollte baden.
Im Wasser sah er sein Spiegelbild
verheißungsvoll lächeln,
betörend mild,
hinreißend wild,
mit gleichem maßlosen Begehren.
„Du bist so schön, ich liebe dich.“
Er wollte sich nicht wehren.
Und da versank er
in sich.
Er ertrank.

Gisela Munz-Schmidt

Am Ufer erblühten dann die ersten Narzissen.
Sonnengoldene Narzissen,
wie sie es wissen,
wann die rechte Zeit ist,
denn alles im Leben hat seine Zeit,
sagt der Prediger Salomo,
und jede Narzisse weiß es auch.

Und ich
muss es
Tag für Tag
lernen.

Gisela Munz-Schmidt

Im Frühling am Bodensee

Aquarell von Sibylle Buderath

Frühling am See

Der Frühling kam fast über Nacht,
vertraut, ersehnt,
und schaut und lehnt
am Wiesenrand,
am Gartentor,
und alles steht in vollem Flor
und blüht in heller Pracht.

Die Welt kommt mir verändert vor,
verwandelt See und Land.
Der Frühling ist ein Zauberer.
Er herrscht mit leichter Hand.

Gisela Munz-Schmidt
Aus: Wege zum See

Entsprechungen

Wind und Wolken

Es schießt eine Kraft ein
über die Berge
und jagt die Wolken über den Horizont
wie zitternde Schafe.

Belle ich mit
oder werd ich getrieben?
Etwas brüllt laut in mir auf,
während ein anderes flieht.

Gisela Munz-Schmidt


Mit den Wolkenschwestern ziehen können,
wilde Nomadinnen der Luft.
Den Wechsel uns anverwandeln.
Statt gehen, tun und ruhen
schweben und wirken und handeln.

Gisela Munz- Schmidt
Marita Hornberger Im Boot
Stille

Ich lege mich mit dem Wind
schlafen,
in ein Schiff.
Es ist ganz leer.
Ruhig im Hafen.
Uns,
die wir jetzt erst uns trafen,
gibt es nun beide nicht mehr.

Gisela Munz-Schmidt

Foto: Liane Kemper
Im See

Ich will mich zwischen die Wellen stellen.
Wie Vögel schaukeln, wie Fische schnellen.
Mich beugen, mich biegen, mich wiegen.
Diesem See im Süden erliegen.

Gisela Munz-Schmidt
Aus: Wege zum See

Foto: Ulrich Griestock

Klänge

Sarah Kayser Vanitas , Acryl
Klänge

Vor dem Wort war der Klang,
war der Urlaut, Wohllaut, war Gesang,
war das Schwirren, Surren, Sirren und das Klirren,
war das Summen, Knarren, Knarzen und das Brummen,
war das Schnarren, Rauschen, Raunen und das Murmeln,
war das Dröhnen und das Stöhnen und das Brausen,
war das Weinen und das Heulen und das Greinen,
war das Juchzen und das Schluchzen,
war das Fiepsen und das Piepsen,
war das Knistern und das Zischen,
war der Rhythmus und die Stimme und der Takt,
war der Schlag, der treibt und packt,
war das Klagen einer Flöte, war das Rufen eines Hornes,
war das Cymbal, war der Schall.

War das Wispern, Lispeln, Flüstern,
war das Stampfen, Pfeifen und das Klopfen,
war das Pochen und das Wirbeln,
war das Zupfen und das Streichen,
war das Quietschen und das Wimmern und das Rasseln,
war das Grölen und das Nölen,
war das Säuseln und das Prasseln,
war das Schnurren und das Knurren,
war das Trillern und das Tirilieren,
war der Knall und der Prall,
war das Rütteln und das Stoßen,
war das Schütteln und das Hämmern,
war das Gurren, Gellen, Jammern und das Jaulen,
war der erste Schrei:

Und nichts ist vorbei.
Wir erinnern's noch,
in unseren Knochen und in unseren Poren,
wissen alles,
nichts ging unterwegs verloren,
und wir spüren's in den Adern und in den Membranen,
da tönt uns noch die Trommel unserer Ahnen,
und wir fühlen es tief unter unserer Haut -
Klänge sind uns urvertraut.

Gisela Munz-Schmidt






Manchmal ist das Leben wie Musik…

Etwas klingt an,
erklingt,
klangvoll,
klingt aus,
verklingt…
und in diesem Klingen
schwingen wir mit.

Gisela Munz-Schmidt

Vom Schmelzen

Foto: Georg Schmidt, Philipp 2023
Übergänge

Ich liebe das Eis,
wenn es schmilzt,
denn ich liebe
Wärme und Wasser,
und ich lebe den Kreis.

Gisela Munz-Schmidt
Foto: Ulrich Griestock
Wege zum See

Die Wege zum See
sind Wege zum Ich.
Ich erfahre ihn
und dadurch mich.

Er liegt schimmernd vor mir,
ein großer Tiegel.
Ich schmelze ein
in seinen Spiegel.

Ich tauche unter,
und um meine Haut
wächst weiches Wasser,
urvertraut.

Dann wandelt er mich,
und ich gehe weiter.
Erklärt unerklärlich
bleibt er mein Begleiter.

Gisela Munz-Schmidt
Aus: Wege zu See, Verlag Stadler Konstanz
Föhnstimmung

In der Silberschmiede
des Windes
schmilzt der See
und glänzt sich aus.
Da glänze ich wortlos
mich ein.

Gisela Munz-Schmidt
Aus: Wege zum See, Verlag Stadler Konstanz

Foehn Mood

This is what happens many a day.
At a sudden it‘s warm in a very strange way.
The air is clear.
The mountains seem near.
The lake shines like a melting pot.
Glittering shivering burning hot.

A prince and a princess.
An access.An excess.
From long ago and recently told.
Love is madness.
A fancy. A frenzy.
Water is silver and gold.

Gisela Munz-Schmidt
From: My Way along Lake Constance, Verlag Stadler Konstanz


Die Grenzen der Liebe

Wie Wachs werden wir
und wir schmelzen ineinander
gedankenlos fühlend
und schweben davon
bis in den siebenten Himmel
verloren vergessend
den Weg zurück.

O hätte ich einen Ariadnefaden
und Füße statt Flügel.
O wäre ich eine Schildkröte
oder ein stampfendes Erdentier.
Denn so verbrenne ich
zu nahe
der Sonne.

Gisela Munz-Schmidt
Daedalus und Icarus

„Beachte das Maß.
Nicht Spiel ist es,und es ist kein Spaß.
Die Grenzen sind hart und gegeben.
Du versuchst dein Glück,
und du opferst dein Leben.“

Doch Icarus, ein Mensch und ein Mann,
der meinte, er wisse, was er will und kann,
flog zu hoch und flog in sein Verderben.
Sein Vater sah weinend ihn sterben.

Gisela Munz-Schmidt

Icarus:

“Like a poor worm on earth I lie.
What is above me way up high?
What is beyond that endless sky?
I ask, I think, I long, I sigh:
I want to try.

I will surpass the eagle‘s cry.
I do need wax, I do need wings, and then I‘ll fly.
My prudent father‘s warnings I deny.
I want to know the answer to all „why“:
I‘ll try.

The sun‘s my goal.
I am my body and my soul.
Man am I and no fluttering butterfly,
I take the risk, I am not shy,
I want to know and want to try…

Daedalus:

“Man is not God.
The sun is hot.
In fire and glory, Son, you‘ll die.“

Icarus:

“All men are mortal, death I do not fear.
Support me and sustain me, Father dear,
my chance is here, heaven is clear,
please help me, Father, for my aim is near.“

Daedalus:

„Consider sun and sea! Blessed be your end as was your birth.“

Icarus tried and flew and fell, and by his father he was buried in the earth.

Gisela Munz-Schmidt

Foto: Gisela Munz-Schmidt

Vom Schmelzpunkt

Wenn der Schmelzpunkt erreicht ist,
ist der Bogen überspannt,
der Würfel gefallen,
der Rubikon überschritten
und das Kind liegt im Brunnen.

Wenn der Schmelzpunkt erreicht ist,
ist die Schwelle übertreten,
das Fass übergelaufen,
der Damm gebrochen
und der Zug ist abgefahren.

Wenn der Schmelzpunkt erreicht ist,
ist die Messe gelesen,
es ist alles gesagt,
es ist alles getan,
es ist alles gegessen,
es ist aller Tage Abend.

Aber dann wandelt es sich,
und es wendet sich,

hoffentlich zum Guten.

Gisela Munz-Schmidt



Alle guten Wünsche zum Jahreswechsel!

Foto: Gisela Munz-Schmidt Im Dezember 2024
Das Glück is a Vogerl

Eine weiße Wolke ist es
oder ein goldener Sonnenstrahl
oder ein leuchtendes Lächeln.
Ein warmer Händedruck kann es sein
oder ein schöner Stein auf dem Weg,
der leicht genug ist,
dass ich ihn aufheben kann
und nach Hause tragen,
denn das Glück will ich immer behalten.
Doch a Vogerl is es..


Mach d Hand auf,
vielleicht fliegts drauf..

Gisela Munz-Schmidt



Foto: Gisela Munz-Schmidt Am Silvestertag 2024 am Seepark Pfullendorf

Im Winter Eine Auswahl von Fotos, Bildern und Texten

Im Winter

Kristalle und Flocken
decken die Erde
in dichter Schicht.

Darüber schreiten,
stapfen und gleiten.

Frische des Winters
im warmen Gesicht.

Gisela Munz-Schmidt
aus: Winter- und Weihnachtsbuch, Verlag Stadler Konstanz
Foto: Gisela Munz-Schmidt Lenkbrunnen im Seepark Pfullendorf

Auch in Pfullendorf steht ein Brunnen des Künstlers Peter Lenk, dessen Skulpturen voller Andeutungen, Hinweise, Zitate und Hintergründe sind, seiner eigenen humorvollen bis sarkastischen charakteristischen Ausdrucksweise verpflichtet. ( Grotesker Realismus?)

Der oben Schwebende soll an Graf Bernadotte der Mainau erinnern, und der Sitzende? Hoffentlich gibt es für ihn kein lebendes Vorbild!

Foto:Gisela Munz-Schmidt

Im Winter finde ich den Kontrast zwischen warmen Brauntönen und dem Weiß und Blau in allen möglichen feinen Übergängen besonders zauberhaft.

Mein Vater Rudolf Munz ist in der Steiermark in Österreich geboren, war ein begeisterter Skifahrer und liebte den Winterschnee.

Er war Hobbymaler und in seinen Winterbildern wird derselbe Kontrast sichtbar.

Ölgemälde von Rudolf Munz , 1971
Ölgemälde von Rudolf Munz, 1951, Kopie nach Gemälde von Willy Kriegel, 1941
Dem Gedichtband LEBENSZEIT meines Vaters Rudolf Munz habe ich das folgende Neujahrsgedicht entnommen:

Aufbruch

Die Sterne wollte ich mir holen.
Das hohe Ziel zum Greifen nah,
erlebte ich wie gottbefohlen,
dass manches nur ein Irrlicht war.

Sich niemals unterkriegen lassen!
Ist Lebensart und Ziel und Gut.
Die Schicksalsstürme toben lassen
erkühnt das Herz und fördert Mut.

Mit voller Kraft ins neue Jahr!
Das Glück ruft leis: „Herein!“
Ich freue mich, mein Traum wird wahr:
Ich werde neu erfolgreich sein.

Rudolf Munz


Auf meinem Foto sind die Bäume weiß…..
…und hier im Aquarell von Sibylle Buderath aus unserem Winter- und Weihnachtsbuch sind die Farben umgekehrt.
Aquarell von Valerij Karassioff Hagnau im Winter
Aquarell von Horst Müller Bodenseeufer im Winter 1987

Die Blaumeise

Kalt ist es geworden,
und die kleine Blaumeise versteckt sich in den Zweigen.
Alle anderen huschen durch den Nebel
und haschen nach Nahrung
und nur Korn um Korn, das weiß sie ja auch,
füllt sich ein Bauch und man wird groß.
Na also! Flieg los!

Gisela Munz-Schmidt



Aquarell von Ursula Dieterich (Ausschnitt)

Und nun zum Schluss etwas ganz anderes, das ich in unserem Haushalt zum Thema Winterbilder gefunden habe:

Eine Originallithographie des Malers Reinhold Schmidt, ein Onkel meines verstorbenen Mannes Dr. Werner Schmidt

Reinhold Schmidt ( 1861 in Flein geboren- 1932) Professor an der Akademie in Stuttgart, war als Landschafts- und Pferdemaler bekannt.

Die gezeigte Lithographie ist hinten so gekennzeichnet:

Eine friedliche erfreuliche Winterzeit mit den besten Wünschen für meine Leserinnen und Leser weltweit!

Mit herzlichen Grüßen

Gisela Munz-Schmidt

“Wir hätten keinen Krieg führen dürfen“, sagte mein Großvater.

Vor 80 Jahren, genau am 4. Dezember 1944 wurde meine Heimatstadt Heilbronn zerstört. Eine Dokumentation findet sich im Stadtarchiv Heilbronn unter dem Titel „Chronik der Zerstörung Heilbronns am 4. Dezember 1944“.
Meine Mutter lebte damals bei ihren Eltern in Neckarsulm und erzählte, wie sie fassungslos ihre Nachbarstadt in Flammen aufgehen sahen und dass sie danach als 21Jährige in Todesangst zitternd zu ihren Eltern ins Bett kroch.

https://stadtarchiv.heilbronn.de >xyz> zerstoerung

Im März 1945 wurde dann Neckarsulm zerstört, und das Haus meiner Großeltern war auch ausgebombt. Alle Familienmitglieder kamen mit dem Leben davon, aber meine Großmutter weinte jedesmal, wenn sehr selten die Sprache darauf kam. „Wir haben alles verloren“, sagte sie dann und mein Großvater meinte: „Wir waren selber schuld. Wir hätten den Krieg nicht führen dürfen.“

Aus: A.Heyler Neckarsulm 1900-1950 Verlag Otto Welker Neckarsulm

In den 90iger Jahren sahen unsere Kinder immer wieder Bilder von Kriegsfolgen in der Zeitung und wollten mehr wissen. Aus dieser Zeit stammt das folgende Gedicht, das 2016 in dem Band Gedichte gegen Gewalt von Gisela Munz-Schmidt mit Bildern von Horst Müller bei Tredition veröffentlicht wurde.

Mein Kind

Mein Kind,
gib mir die Hand
und halt sie fest.
Es ist der Krieg,
der aus den harten Klauen
niemanden unversehrt entlässt.

Mein Kind,
gib mir die Hand,
sie hält dich warm.
Es ist die Rache und die Habgier und der Neid,
die führen des Krieges Arm.

Mein Kind,
gib mir die Hand,
die Welt ist kalt.
Kalt ist die Macht,
kalt ist das Geld.
Und eisig ist des Hasses Nacht.

Mein Kind,
gib mir die Hand.
Wir glauben, dass das Wunder nicht zerbricht.
Wir wollen widerstehen.
Wir suchen sanftes Licht.
Wir wollen langsam gehen.
Wir sterben nicht.

Gisela Munz-Schmidt

Licht und Schatten oder Das ganze Bild

Foto: Ulrich Griestock

Immer gibt es auch die andere Seite,
so wie Tag und Nacht,
Sonne und Mond.
Wer in Enge lebt, sucht das Weite.
Wer im Hellen steht, bleibt vom Düsteren nicht verschont.
Freundschaft und Trennung,
Frieden und Krieg,
Liebe und Hass,
Verlust und Sieg.
Das Heitere wandelt sich ins Ernste,
Unbefangenheit wird bedroht,
Vertrauen ist gefährdet durch Missbrauch,
aus Lebendigkeit wird Tod.

So will ich das aber nicht enden lassen.
Ich will Tag um Tag, Nacht um Nacht,
alles und jedes dazwischen erfassen.

Gisela Munz-Schmidt

Im Herbst

Sonnenblumen Aquarell von Sibylle Buderath
Im Herbst

Wenn die Sonne durch die Nebel bricht,
wenn das Licht Trauer, Trübe, Dunkel überwindet,
wenn die Wärme ihren Weg durch die Morgenkühle findet,
wenn der Glanz dann auf den Wangen einer roten Rose liegt,
wenn ein unheilbarer Kranker endlich doch den Tod besiegt,
wenn ein heller schöner Falter sich um bunte Blumen wiegt,
wenn ein flinker freier Vogel fröhlich zwischen Bäumen fliegt,
wünsche ich, dass alles so
unverrückbar fest
für immer bliebe.
Denn das sind die Zeiten,
sind die Menschen,
Pflanzen und die Tiere,
die im Herbst ich liebe.

Gisela Munz-Schmidt
Aus Blumen am Weg, Verlag Stadler Konstanz




Foto: Gisela Munz-Schmidt Munstead Wood

Die letzte Rose

Niemals und nie ist es die letzte Rose,
so wie aber auch immer jede die letzte sein könnte.

Gisela Munz-Schmidt

Gegen Trauer

Foto: Gisela Munz-Schmidt Kormoran am Neckarufer
Gedanken beim Betrachten eines Kormorans

Lass deine Tränen trocknen von der Sonne
und deine trüben Gedanken
fortwehen vom Wind.
Und dann breite weit deine Arme aus
als wären sie Flügel
und hebe dich über den Schmerz.

Gisela Munz-Schmidt

Verwandelte Schönheit

Aus dem strömenden Blut des Hyazinthos
ist zarte Farbe geworden,
die immer noch strömt und betört
und von Liebe und Schmerz erzählt.

Gisela Munz- Schmidt

Über quillt der Sommer

Spiräe und Herbstanemonen
Über quillt der Sommer 
und seine Strahlen
malen
dir tiefe Bilder
in den Sinn.
Milder
geht nun dein Weg dahin.

Gisela Munz-Schmidt
Aus: Blumen am Weg, Verlag Stadler Konstanz
Dipladenie und Geranie

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