Ich liebe das Eis, wenn es schmilzt, denn ich liebe Wärme und Wasser, und ich lebe den Kreis.
Gisela Munz-Schmidt
Foto: Ulrich Griestock
Wege zum See
Die Wege zum See sind Wege zum Ich. Ich erfahre ihn und dadurch mich.
Er liegt schimmernd vor mir, ein großer Tiegel. Ich schmelze ein in seinen Spiegel.
Ich tauche unter, und um meine Haut wächst weiches Wasser, urvertraut.
Dann wandelt er mich, und ich gehe weiter. Erklärt unerklärlich bleibt er mein Begleiter.
Gisela Munz-Schmidt Aus: Wege zu See, Verlag Stadler Konstanz
Föhnstimmung
In der Silberschmiede des Windes schmilzt der See und glänzt sich aus. Da glänze ich wortlos mich ein.
Gisela Munz-Schmidt Aus: Wege zum See, Verlag Stadler Konstanz
Foehn Mood
This is what happens many a day. At a sudden it‘s warm in a very strange way. The air is clear. The mountains seem near. The lake shines like a melting pot. Glittering shivering burning hot.
A prince and a princess. An access.An excess. From long ago and recently told. Love is madness. A fancy. A frenzy. Water is silver and gold.
Gisela Munz-Schmidt From: My Way along Lake Constance, Verlag Stadler Konstanz
Die Grenzen der Liebe
Wie Wachs werden wir und wir schmelzen ineinander gedankenlos fühlend und schweben davon bis in den siebenten Himmel verloren vergessend den Weg zurück.
O hätte ich einen Ariadnefaden und Füße statt Flügel. O wäre ich eine Schildkröte oder ein stampfendes Erdentier. Denn so verbrenne ich zu nahe der Sonne.
Gisela Munz-Schmidt
Daedalus und Icarus
„Beachte das Maß. Nicht Spiel ist es,und es ist kein Spaß. Die Grenzen sind hart und gegeben. Du versuchst dein Glück, und du opferst dein Leben.“
Doch Icarus, ein Mensch und ein Mann, der meinte, er wisse, was er will und kann, flog zu hoch und flog in sein Verderben. Sein Vater sah weinend ihn sterben.
Gisela Munz-Schmidt
Icarus:
“Like a poor worm on earth I lie.
What is above me way up high?
What is beyond that endless sky?
I ask, I think, I long, I sigh:
I want to try.
I will surpass the eagle‘s cry.
I do need wax, I do need wings, and then I‘ll fly.
My prudent father‘s warnings I deny.
I want to know the answer to all „why“:
I‘ll try.
The sun‘s my goal.
I am my body and my soul.
Man am I and no fluttering butterfly,
I take the risk, I am not shy,
I want to know and want to try…
Daedalus:
“Man is not God.
The sun is hot.
In fire and glory, Son, you‘ll die.“
Icarus:
“All men are mortal, death I do not fear.
Support me and sustain me, Father dear,
my chance is here, heaven is clear,
please help me, Father, for my aim is near.“
Daedalus:
„Consider sun and sea! Blessed be your end as was your birth.“
Icarus tried and flew and fell, and by his father he was buried in the earth.
Gisela Munz-Schmidt
Foto: Gisela Munz-Schmidt
Vom Schmelzpunkt
Wenn der Schmelzpunkt erreicht ist, ist der Bogen überspannt, der Würfel gefallen, der Rubikon überschritten und das Kind liegt im Brunnen.
Wenn der Schmelzpunkt erreicht ist, ist die Schwelle übertreten, das Fass übergelaufen, der Damm gebrochen und der Zug ist abgefahren.
Wenn der Schmelzpunkt erreicht ist, ist die Messe gelesen, es ist alles gesagt, es ist alles getan, es ist alles gegessen, es ist aller Tage Abend.
Immer gibt es auch die andere Seite, so wie Tag und Nacht, Sonne und Mond. Wer in Enge lebt, sucht das Weite. Wer im Hellen steht, bleibt vom Düsteren nicht verschont. Freundschaft und Trennung, Frieden und Krieg, Liebe und Hass, Verlust und Sieg. Das Heitere wandelt sich ins Ernste, Unbefangenheit wird bedroht, Vertrauen ist gefährdet durch Missbrauch, aus Lebendigkeit wird Tod.
So will ich das aber nicht enden lassen. Ich will Tag um Tag, Nacht um Nacht, alles und jedes dazwischen erfassen.
Sie war aus Marmor und war fein und zart und hielt die Hand aus, und da stieß er nieder, aus Rot und Gold ein stiebendes Gefieder und saß vollendet wie ein freier fester Traum.
So war es immer wieder. Er flog die Kreise am Tag im wilden Raum nach Falkenvogelweise und kam in selber Art auf ihre Hand zurück und schüttelte den Regen aus den Federn, den Staub, das Laub, den Abendtau.
Man sagt, des Nachts, ich weiß es nicht genau, wurd aus dem Falk ein Mann und aus dem stolzen Marmorbilde schälte sich die warme Frau. Ihr Name oder seiner war Glück.
Mehr weiß ich nicht, es ist schon lange her. Ich weiß gewiss nicht mehr.
Unsere Hände
Ich sehe eine Hand, seh´, wie sie sucht.
Sie tastet über Ecken, Kanten, Bogen,
als wäre sie von Grenzen angezogen,
voll Unrast, wie ein irrer Geist, verflucht.
Ich blicke stumm auf meine Hände.
Was haben sie getan, was unterlassen!
In ihnen liegt mein Tun, mein Lieben und mein Hassen.
Es ist, als ob mein Leben ich in ihnen fände.
Alle Vergangenheiten fließen durch die Poren,
was wir erstrebten und was wir verspielten,
was wir gewonnen haben und was wir verloren.
Und unsere Hände, sie begriffen, wenn wir fühlten, wenn wir zielten!
Oft leben wir getrennt, einsame Toren.
Wie wäre es, wenn wir uns an den Händen hielten?
Gisela Munz-Schmidt
Aus: Sonette
Alabasterfigur Diskuswerfer, Teilansicht
Porzellanfigur T. v. Waldenfels, Teilansicht
Ufer
Ufer ist das, was trennt.
Ufer ist das, was verbindet.
Und so ist das Ufer jenes Stück Land,
das ist wie das Wort.
Und die Hand.
Gisela Munz-Schmidt
Aus dem Lyrikbildband Wege zum See, Verlag Stadler, Konstanz
Die Sonne
Ein großer Feuerball
im kalten All,
das Leitgestirn, die Sonne.
Brand, Hitze, Feuersbrunst,
doch Leben auch und Wonne.
Nur durch den Sonnenstern
wächst jeder Samen, jeder Keim und jeder Kern.
Ich bin mitnichten
der erste Mensch, der sie verehrt
und bittet um die Gunst,
dass sie uns scheint
und wiederkehrt.
Überall gibt es Geschichten und Sagen.
Die Göttin! Ein Gott in einer Barke oder einem Wagen,
der in einem hohen Bogen,
von Pferden oder Drachen fortgezogen,
über unseren Himmel fährt.
Aufgestiegen, hinabgesunken,
in warmen Strahlen und glühenden, glänzenden Funken.
Und auch in mir
ist das Sonnengeflecht
und in dir...
Gisela Munz- Schmidt
Mitten in der Nacht
bin ich am Mondschein aufgewacht.
Die Sonne
sendet mir Grüße.
Gisela Munz-Schmidt
Vollmond in Owingen
Schmuck aus Ghana Ausschnitt
Die Sonne
Und jeden Morgen steigt sie aus dem Meer,
um ihren Tageslauf von neuem anzutreten.
Sie ist so schön. Ich möchte sie anbeten
und liebe sie wie eine Göttin sehr.
Doch ahn ich ihre Unerbittlichkeit und ihre Strenge,
als könne sie in einem harten Zorn
uns und das ganze Land zerstören und verdorrn,
als geißele sie und brenne sie und senge.
Ein jeder Tag beginnt jedoch, als ob sie neu mich lade
an ihren Tisch der Wärme und der Gnade:
Sie hat uns alles gut bereitet.
Da bin ich, ihre Tochter, mit ihr und ihrem treuen Gatten,
dem ruhigen stillen dunklen Schatten,
der sie auf ihrem runden Gang begleitet.
Gisela Munz-Schmidt
Sonett
Kleine Replik des Diskuswerfers von Myron aus Alabaster in unserem Regal
Wechselwirkungen
Ich bewege etwas.
Es bewegt mich.
Ich berühre etwas.
Es berührt mich.
Ich treibe etwas voran.
Es treibt mich um.
Ich ergreife etwas.
Ich bin ergriffen.
Gisela Munz-Schmidt
„ POST NUBILA PHOEBUS“
( Nach Wolken Sonne )
Lateinisches Sprichwort
„AUF REGEN FOLGT SONNENSCHEIN“
Deutsches Sprichwort
Regression und Neuanfang
Wenn ich in den Mondschatten gleite
und ich schlafwandle,
träume statt handle,
die Flügel ausbreite,
wenn ich Lautes und Grelles meide,
in Sümpfen wate,
aus Schritt und Tritt gerate
und an mir selber leide,
wenn mich das Dunkle umweht wie eiskalter Wind,
bin ich ein hilfloses Kind,
das einsam greint,
bin ich, wie Sterbende sind,
um die keiner weint,
bis wieder, aus Wolken, die Sonne scheint.
Gisela Munz-Schmidt
Sonett
Offene See
Glänzende Gischt der Gegenwart!
Weite Wellen,
welche an endlosen Stränden versanden.
Albatrosflug.
Äneasfahrt.
Irgendwann
irgendwo
landen.
Gisela Munz-Schmidt
Aus: Kleine Gedichte -Große Gefühle
Liebesgedicht
Die Nähe zu dir
ist mein Sinn.
Du bist hier
bei mir,
und ich bin.
So einfach wird das:
Ein Wunder. Kein Fragen.
In guten wie in schlechten Tagen.
Ich könnt‘ auch allein sein:
ein Solotanz.
Doch wir bleiben zusammen,
und so fühl‘ ich mich ganz.
Gisela Munz-Schmidt
2022
Paare , Keramiken von Roswitha Schnitzer Pastell von Johanna 96
Ich habe noch mehr Paare in unserem Haus gefunden, eine kleine Auswahl, Kunst bis Kitsch, alles dabei wie im wirklichen Leben.
Buchstützen Messing Katzen
Buchstützen Messing Gänse
Porzellanfigur Rosenthal Raymond Peynet
Paar aus unserer antiken Puppenstube
Yin und Yang
Oh ja die Sonne
und zwischen den Sternen segeln!
Aber das Wasser und das Land,
deine Augen und meine Hand,
Nehmen und Geben,
Ergänzungen prägen das Leben.
Gisela Munz-Schmidt
Aus: Kleine Gedichte - Große Gefühle
Der Reim
Ich mag den Reim wie eines Freundes Hand.
Ich mag die Frage, welche eine Antwort fand.
Ich mag das Bündel und das Band.
Ich mag den runden und achatpolierten Rand.
Ich mag das Paar, das heute an dem Strand
ganz eng umschlungen beieinander stand.
Ich mag das Wasser und das Land.
Ich mag den Reim.
Gisela Munz-Schmidt
Aus: Kleine Gedichte -Große Gefühle
Marita Hornberger Einladungskarte zu ihrer Ausstellung in Friedrichshafen 2007
Was ist eigentlich die Wirklichkeit?
Liebe
Geh doch zu den Rosen,
wenn du wissen willst,
was Liebe ist.
Sich öffnen. Sich verströmen.
Sein Äußerstes
und Innerstes geben.
Trotz Regen, Sturm und Wind
für die Sonne leben.
Gisela Munz- Schmidt
Aus: Kleine Gedichte - Große Gefühle
Zeichnung von Marlene Thomsen Aus :Erfüllung finden
Hoffnung
Wie ein Goldwäscher
siebe ich
Wörter
aus dem Sand.
Ein Nugget.
Ein Klümpchen Hoffnung,
es wäre
die Wahrheit.
Gisela Munz-Schmidt
Lesezeichen mit Malerei von Marita Hornberger
Gelassenheit
Tu doch den Wörtern nicht -
so wie nichts und wie niemandem -
Gewalt an:
Sie stellen sich ein,
so wie Wind sich fügt um ein Blatt
oder wie Wasser,
das ruhig und lächelnd spielt an Gestein.
Gisela Munz -Schmidt
Was mir wichtig ist
Blumensträuße aus einem Garten.
Spaziergänge zu jeder Jahreszeit.
Menschen und Liebenswürdigkeit.
Überraschungsfahrten.
Das Wirken großer Bäume.
Alte und neue Reime.
Saaten, Sprösslinge, Keime.
Das Wachsen in Träume.
Am Himmel die Sterne.
Hier die Farben.
Nähe und Ferne.
Verheilte Narben.
Früchte und Garben.
Und dass ich zu leben lerne.
Gisela Munz-Schmidt
Sonett