Lyrik vom Bodensee

Monat: Mai 2022 (Seite 2 von 2)

WIR FRAUEN

Marita Hornberger
Einladungskarte zu ihrer Ausstellung
Malerei
in Langenargen 2010
Das Geheimnis

Es gibt ein Geheimnis,
das musst du mir lassen.
Sein Kern ist jenseits von Lieben und Hassen,
ist fern von Streicheln oder Streiten, 
weit ist sein Kern von Stunden oder Zeiten,
ist losgelöst von Gut und Böse, Ja und Nein,
ist abgewandt von Grob und Fein
und überschreitet Groß  und Klein,
lebt nicht in Hirn, Herz, Ader oder Bein;
ist weder Glück
noch Grausamkeit,
noch Trauer;
ist wie ein Wind,
ein Hauch,
der geht
und weht
durch jede Mauer.
Sein Kern ist wesenhaft und rein;
ist spürbar,
und doch nie zu fassen.
Dieses Geheimnis musst du mir lassen.

Gisela Munz-Schmidt

Aus:
Erfüllung finden



Marita Hornberger
Marlene Thomsen In: Erfüllung finden

Die Frau

Ich fühl mich wohl in meiner Frauenhaut.
Ich bin zwar nicht so groß und stark gebaut,
doch groß genug, mich ganz zu fassen,
und stark genug, mich ganz zu lassen.

Ich fühl mich wohl mit meinem Frauenherz.
Es ist zwar nicht so hart und fühlt sehr leicht den Schmerz,
doch hart genug, Schläge zu überstehen
und leicht genug, Fehler zu übergehen.

Ich fühl mich wohl mit meinem Frauenhaar.
Es wächst, du kannst die Jahresringe sehen.
Ich färb es ein und bleich es aus,
bind‘s fest zusammen, und ich lass es offen wehen.

Gisela Munz-Schmidt
Aus: Erfüllung finden

DIE BURG





Ölgemälde von Rudolf Munz
2000
Die Burg

Sagenumwoben 
sei die Burg,
so sagten sie, droben.

Wir stiegen hinauf, wo andere ritten,
umarmten einander, wo andere stritten,
scherzten da, wo andere litten,
inmitten der Mauern,
die fallen und dauern.
Falter flattern ums Gesicht,
Eidechsen huschen auf Steinesbänder,
weit blendende Sicht über Hügel und Berge und Länder,
auf Eisengeländer 
zerfallende Ränder,
vergessenes Rauschen ferner Gewänder.
Ein lautes Lied 
vom hohen Fried,
neben eingewachsenem Fries
Rüstungen, Ketten, Harnisch und Spieß,
Klagen aus Schutt und Verlies,
dazwischen Efeu, Ehrenpreis,  Rosen, Klee,
verklungenes Wimmern und Jammern
auf Stiegen, in Sälen, in Küchen und Kammern,
im Palas des Troubadouren Gedicht
von Neigung und Pflicht,
Dienst, Mut und Minne,
Krieg, Niederlage und Sieg -
Wir hielten inne,
verstanden den Pfad der eilenden Spinne,
begriffen Jubel und Weh:
belagern, erobern,
hungern und essen,
hauen und kosen,
streiten und raufen,
feiern und saufen,
stöhnen und röcheln und schnaufen,
liegen, stehen, reiten, sitzen,
frieren und schwitzen,
alleine und miteinander schlafen, 
loben, lachen, lieben, hassen, strafen
in allen Farben, schwarz und weiß -
tiefer Schacht,
Tag, Nacht,
Macht, Ohnmacht,
frei und gefangen,
Hoffen und Bangen,
Lohn, Hohn und Gericht,
das Rad und der ewige Kreis.

In jeglichem Reich
sind so alle Burgen.
So oder ähnlich und gleich.

Gisela Munz-Schmidt





Ich bin im Neckartal aufgewachsen und habe von Kindheit an Burgen als eigene besondere Welten erlebt. Inzwischen habe ich viele Burgen und Schlösser besucht und besichtigt, zwischen Verfall und Erhalt, und nie kann ich mich der Atmosphäre entziehen, die solche Schauplätze der Vergangenheit und Gegenwart darstellen.

Im Eigenverlag – und mit Unterstützung des Landkreises Bodenseekreis – habe ich zwei Hefte herausgegeben, die Sagengedichte aus unserer Region enthalten.

Da sie sich im Inhalt auf die Sammlung „ Sagen und Bräuche am Überlinger See“ von Theodor Lachmann beziehen, sind sie auch im Überlinger Museum erhältlich.

Der Medizinalrat Theodor Lachmann hatte seit 1870 eine Sammlung von Altertümern zur Überlinger Geschichte angelegt, die den Grundstock des städtischen Museums bildete, das 1913 von Victor Mezger im Reichlin-von-Meldegg-Haus eingerichtet wurde.

Ein Besuch des Museums lohnt sich!

“Kulturhistorisches Museum mit historischen Räumen, Kapelle, Kunst, Relikten und Garten mit Seeblick“





Titelbild: Stahlstich von Corradi
“Gallerthurm in Überlingen“
Titelbild: Steindruck von I.A.Pecht
„Die alte Felskapelle St. Catarina bey Überlingen“

OFFENE SEE

Offene See

Glänzende Gischt der Gegenwart!
Weite Wellen,
welche an endlosen Stränden versanden.
Albatrosflug.
Äneasfahrt.
Irgendwann
irgendwo
landen.

Gisela Munz-Schmidt
Aus: Kleine Gedichte -Große Gefühle
Lesezeichen
Aquarell von Marita Hornberger

A PLANT

A Plant

Leaf and root,
flower and fruit,
colour and shape,
nut and grape,
stem and bloom,
growth and boom,
gift and grant
you find in a plant.

Gisela Munz-Schmidt 



A Mother‘s Day Gift
If there wasn‘t…

If there wasn‘t the green of the meadows
and there wasn‘t the growth of the trees,
if there wasn‘t the red of the tulips
and there wasn‘ the humming of bees,
if there wasn‘t the thrill of the lilies
and there wasn‘t the veil of the rue,
if there wasn‘t the love of the iris
and there wasn‘t the bluebells‘ hue,
if there wasn‘t the eye of the violet
and there wasn‘t the scent of the thyme,
if there wasn‘t the charm of the roses
there would be to BEAUTY no rhyme.

Gisela Munz-Schmidt 

ROT

Zinnoberrote Geranienblüte auf unserem Balkon, 2022
ROT

Es pulst im Mohn.
Es blüht aus einer Rose.
Im Feuer glüht es,
und es sprüht dir
Sonnenfunken vor‘s Gesicht.

Rot ist Leidenschaft,
Rot ist Liebe,
und rot ist das ewige Licht.

Gisela Munz-Schmidt 
Aus: Schöner Fächer Regenbogen 
Gedichte über Farben
Roter Mohn Ölgemälde von Rudolf Munz, 2002
Aus: Schöner Fächer Regenbogen
Gedichte über Farben
Russische Übersetzung Vahan Alaverdian

Islandmohn Aquarell von Sibylle Buderath, Detail
Islandmohn Aquarell von Sibylle Buderath, Detail
Islandmohn

Gelb, orange, rot,
weiß, schwarzhaarige Stiele,
Tanz, beschwingt, im Licht.

Gisela Munz-Schmidt
Haiku


Mohnblüten Aquarell von Sibylle Buderath
Hibiskus Aquarell von Sibylle Buderath, Detail
Hibiskus 

Der Roseneibisch.
Dornlos gleicht er der Rose
in zarterem Laub.

Gisela Munz-Schmidt
Haiku
Blüten

Flatter-Blätter sind sie nur:
Stempel, Griffel,  Beutel, Narbe.

Aber sie sind Spur:
Fülle, Freude, Form und Farbe .

Gisela Munz-Schmidt
Aus: Blumen am Weg
Strauchpäonienblüte, in unserem Garten,
zwischen Giersch und Waldmeister gesteckt, 2022
Päonie

Pfingstrosenschönheit.
Was denn macht sie so reizvoll?
Ein offenes Herz.

Gisela Munz-Schmidt
Haiku
Strauchpäonienblüte im Garten von Marita Hornberger
Genieße des Frühlings
heiteres Spiel.
Doch bleibt die Frucht
jeder Blüte Ziel.

Gisela Munz-Schmidt
Hagebutten unserer Rosa Rugosa Hansa auf Brombeeren
Hagebutten

Die Frucht der Liebe.
Erinnerung an Blüten.
Das Ziel eines Jahrs.

Gisela Munz-Schmidt
Haiku

LIEBE

Wachsmalerei von HENRY 03.25.2022

Liebesgedicht

Die Nähe zu dir
ist mein Sinn.
Du bist hier
bei mir,
und ich bin.

So einfach wird das:
Ein Wunder. Kein Fragen.
In guten wie in schlechten Tagen.

Ich könnt‘ auch allein sein:
ein Solotanz.
Doch wir bleiben zusammen,
und so fühl‘ ich mich ganz.

Gisela Munz-Schmidt 
2022
Paare , Keramiken von Roswitha Schnitzer
Pastell von Johanna 96

Ich habe noch mehr Paare in unserem Haus gefunden, eine kleine Auswahl, Kunst bis Kitsch, alles dabei wie im wirklichen Leben.

Buchstützen Messing Katzen
Buchstützen Messing Gänse
Porzellanfigur Rosenthal Raymond Peynet
Paar aus unserer antiken Puppenstube
Yin und Yang

Oh ja die Sonne 
und zwischen den Sternen segeln!
Aber das Wasser und das Land, 
deine Augen und meine Hand,
Nehmen und Geben,
Ergänzungen prägen das Leben.

Gisela Munz-Schmidt
Aus: Kleine Gedichte -  Große Gefühle 
Der Reim

Ich mag den Reim wie eines Freundes Hand.
Ich mag die Frage, welche eine Antwort fand.
Ich mag das Bündel und das Band.
Ich mag den runden und achatpolierten Rand.
Ich mag das Paar, das heute an dem Strand
ganz eng umschlungen beieinander stand.
Ich mag das Wasser und das Land.
Ich mag den Reim.

Gisela Munz-Schmidt 
Aus: Kleine Gedichte -Große Gefühle
Marita Hornberger
Einladungskarte zu ihrer Ausstellung in Friedrichshafen 2007

Was ist eigentlich die Wirklichkeit?

Liebe

Geh doch zu den Rosen, 
wenn du wissen willst, 
was Liebe ist.
Sich öffnen. Sich verströmen.
Sein Äußerstes 
und Innerstes geben.
Trotz Regen, Sturm und Wind
für die Sonne leben.

Gisela Munz- Schmidt
Aus: Kleine Gedichte -  Große Gefühle



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