Eine Überlinger Sage:
Die Frau und der Löwe Zu Staub zerfällt die Welt. Ins Grab geht alles Leben hinab. So lautet das Gesetz. Doch gibt es Kräfte, die dem widerstehen. Erinnerung ist eine solche Spur vom Einst ins Jetzt, und auch das Wort erhält. Gegen das Fallen und Verlieren steht Liebe auf und überwindet. Beim Tor lebt‘ eine Frau, die hatte nur ein einziges Kind, das liebte sie so sehr, dass andere sagten, sie wär‘ vor Liebe blind. ( Wir wissen wohl, wie Liebe blendet, doch auch, dass sie erkennt.) Jedoch so kurzen Blicks, wie oft die Leute sind, wollten sie diese Ansicht gar nicht gelten lassen. Da irrte eines Tages durch die Straßen und die Gassen von Überlingen ein Löwe. Woher? Wohin? Kein Mensch hat‘s je gewusst! Er lief geradewegs zum Hause jener Frau und nahm mit großem Maul das vielgeliebte Kind, als sei es Löwenfutter, von ihrer Brust. Die Mutter, ganz außer sich und offenen Haares, entriss es ihm. Da war‘s gerettet, und der Löwe, vom Löwenmut der Frau geschlagen, zog knurrend ab mit leerem Magen und ward nie mehr gesehen. Den Löwenkopf ließ jene Frau aus Stein als Angedenken hauen und diesen Stein ins Haus einbauen. Das Haus verfiel, ein Spiel der Zeit, der Löwenkopf, er wurde abgenommen, ist aber später dann verkommen, der Stein zu Sand und Staub zerfallen. Das Wort, das Lied, nimmt Sand und Staub und macht daraus den Stein, der ewig hält. Darum wird allen Leuten die Sage von der tapferen Frau erzählt. Ich glaube wohl, sie soll bedeuten: Selbst wenn es starke Gegenmächte gibt, wachsen dem Menschen Kräfte, wenn er liebt. Gisela Munz Schmidt Aus: Sagenhaftes Überlingen Owingen Salem Heiligenberg ( Quelle: Theodor Lachmann, Sagen und Bräuche am Überlinger See) Erhältlich im Städtischen Museum Überlingen und bei Gisela Munz-Schmidt
Der Ochsensprung vom Katharinenfelsen
Steindruck von I.A. Pecht, Konstanz,1832, Die alte Felskapelle St. Catarina bey Überlingen
Der Ochsensprung vom Katharinenfelsen Molassefelsen prägen das Land, und jener, der am höchsten stand, heißt immer noch Katharinenwand, weil dort, vor alter langer Zeit eine Kapelle war, Katharina geweiht. An einem heißen Tag im frühen Sommer pflügte dort ein Bauer, ein braver und frommer, fleißig und unverdrossen und wacker mit seinem Ochsengespann seinen Acker. Die Arbeit war mühevoll und schwer, doch sein liebes Töchterlein half ihm sehr, sie führte auf diesem steilen Hügel das Ochsenpaar geschickt am Zügel. Doch die Tiere, von bösen Bremsen gestochen, waren plötzlich wild und ausgebrochen, gerieten außer Schritt und Tritt, sie rissen das junge Mädchen mit, es half kein Ruf mehr, es half kein Stab, sie stürzten zusammen die Felswand hinab. Der Bauer in seiner Herzensnot, vor seinen Augen des Kindes Tod, rief laut zu Hilf Katharina an. Die Heilige hat das Ihre getan: Als der Bauer zum Seegrund war gekommen, sind Tochter und Tiere im See geschwommen, und es fanden sich weder Wunden noch Spuren des Sturzes, nicht die geringsten Blessuren! Katharina sei Dank, der gute Mann brachte Pflug heim und Kind und Ochsengespann - was er im See so wohlbehalten fand, gerettet von Katharinas Hand. Gisela Munz-Schmidt Aus: SAGENGEDICHTE von Gisela Munz-Schmidt Owingen, 2004
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